Sterben

Schon die Anfangs­ein­stel­lun­gen von "Ster­ben" sind ver­stö­rend: zwei deso­la­te Alte machen sich und ande­ren das Leben schwer. Lis­sy (Corin­na Har­fouch) sitzt buch­stäb­lich in der Schei­ße und ihr demen­ter Ehe­mann (Hans-Uwe Bau­er) irrt nur mit einem Ober­hemd beklei­det durch die Gegend.

Als eine auf­merk­sa­me Nach­ba­rin ihnen hel­fen will, wird sie brüsk zurück­ge­wie­sen, statt­des­sen ver­sucht die Mut­ter ihren viel­be­schäf­tig­ten Sohn Tom (Lars Eidin­ger) zum Eltern­kon­takt und zur Unter­stüt­zung zu bewe­gen. Was immer wie­der bei ihm und sei­ner Schwes­ter Ellen (Lilith Stan­gen­berg) misslingt.

Und so gesellt sich zur eige­nen Sprach- und Hilf­lo­sig­keit auch noch ein Gene­ra­tio­nen­kon­flikt, wie ihn vie­le heu­te Sech­zig­jäh­ri­ge am eige­nen Leib erfah­ren, was auch Regis­seur Mat­thi­as Glas­ner zu die­sem ein­dring­li­chen Fami­li­en­por­trät beweg­te, das nach dem Tod sei­ner eige­nen Eltern entstand.

Auf der einen Sei­te zeigt der Film die ver­sehr­te bezie­hungs­wei­se zer­stör­te Eltern­ge­nera­ti­on (vie­le von ihnen sind Kriegs- oder frü­he Nach­kriegs­kin­der, was im Film aber lei­der nicht the­ma­ti­siert wird) und ihre (oft kin­der­lo­sen) Nachkommen.

Die sich hoch­am­bi­tio­niert in anspruchs­vol­len, künst­le­ri­schen Beru­fen respek­ti­ve Pro­jek­ten enga­gie­ren bezie­hungs­wei­se abstram­peln und schein­bar so gar kei­nen "Fami­li­en­sinn" mehr ent­wi­ckeln oder sich wie Tom in kom­pli­zier­ten Bezie­hungs­ge­flech­ten emo­tio­nal verschleißen.

So zeigt der Film, der eigent­lich "Leben" hei­ßen müss­te, sehr ein­dring­lich das Zer­fal­len von Rol­len­ste­reo­ty­pen und –kli­schees, wie das der "guten", näh­ren­den und lie­be­vol­len Mut­ter. Statt­des­sen domi­niert emo­tio­na­le Käl­te und Gleich­gül­tig­keit, wie sie im Mut­ter-Sohn-Gespräch kurz nach der Beer­di­gung des Vaters Gän­se­haut erre­gend kulminiert.

Doch bei alle­dem fragt man/frau sich, wo eigent­lich die Män­ner sind, die ihre Frau­en emo­tio­nal unter­stüt­zen könn­ten? Es gibt Anklän­ge bei Toms (v. a. in der Demenz?) sehr prä­sen­tem und lie­be­vol­lem Vater. Und schließ­lich küm­mert sich auch Tom hin­rei­ßend um die klei­ne Toch­ter sei­ner ehe­ma­li­gen Freun­din, deren bio­lo­gi­scher Vater er selbst nicht ist.

Doch vie­le die­ser Män­ner sind  depres­siv wie der per­fek­tio­nis­ti­sche Kom­po­nist Ber­nard (Robert Gwis­dek), des­sen Opus "Ster­ben" auch dem Film den Namen gab. Und der sich, nach­dem er die letz­te Fas­sung sei­ner Kom­po­si­ti­on nie­der­schrieb, auch kon­se­quent an die­ses macht.

Und last but not least gibt es sehr unter­schied­li­che Frau­en­fi­gu­ren, allen vor­an die tod­trau­ri­ge und exzen­tri­sche Schwes­ter von Tom. Die eigent­lich das Zeug zu einer veri­ta­blen Sän­ge­rin hat, sich aber als Zahn­arzt­hel­fe­rin exzes­siv durchs Leben trinkt und vögelt und null Ver­ant­wor­tung für sich und ande­re übernimmt.

Also alles in allem ein Scher­ben­hau­fen und gar kei­ne Aus­sicht auf ein hap­py end, wie es ja gera­de in "Fami­li­en­fil­men" immer wie­der pos­tu­liert wird?

"Ster­ben" ist eine sehr per­sön­li­che Bestands­auf­nah­me mit groß­ar­ti­gen Schauspieler:innen, die vie­le uni­ver­sel­le Züge hat. Glas­ners Film ist auch hand­werk­lich mutig und zeigt zumin­dest die Gefühls­in­ten­si­tät der nach­fol­gen­den (Kriegsenkel-)Generation bei­spiels­wei­se in der zum Ster­ben schö­nen Kom­po­si­ti­on, die am Ende schließ­lich doch auf­ge­führt wird.

Aber "Trost" im eigent­li­chen Sin­ne bie­tet er nicht.

Astrid Priebs-Trö­ger

06. Februar 2025 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Film | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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