Baustelle Europa

Mit Well­pap­pe, Kle­be­strei­fen und Ket­ten­sä­ge star­te­te das dies­jäh­ri­ge 29. Uni­dram­fes­ti­val. In der Wasch­haus­a­re­na lag ein rie­si­ger Papp-Bas­tel­bo­gen auf dem Büh­nen­bo­den und die fran­zö­si­sche Per­for­me­rin Phia Ménard, geklei­det wie eine pun­ki­ge Super­hel­din, heim­werk­te und phi­lo­so­phier­te sich durch die euro­päi­sche (Nachkriegs-)Geschichte.

Und nichts Gerin­ge­res als das Athe­ner Par­the­non – seit 2500 Jah­ren zen­tra­ler Bau der Akro­po­lis und euro­päi­sches Wahr­zei­chen – wur­de hier mit Pap­pe und Kle­be­strei­fen und eini­gem Kraft- aber auch tän­ze­ri­schem Kör­per­ein­satz von einer comic­ar­ti­gen Won­der Woman wieder-errichtet.

Com­pa­gnie Non Nova, Phia Ménard, Foto ©️Jean Luc Beaujault

Doch anstel­le mit Schild und Schwert kämpft Ménard mit kra­chend abrei­ßen­dem Kle­be­strei­fen, immer wie­der kip­pen­den Papp­wän­den und weg­klap­pen­den Stütz­stä­ben. Aber nach einer Stun­de steht die Hüt­te, die etwa 15 Qua­drat­me­ter Grund­flä­che hat und zwei Meter hoch ist.

In ihrer braun­pap­pi­gen Gesichts­lo­sig­keit ähnelt sie eher einem Con­tai­ner­mo­dul, das in der heu­ti­gen EU für alles Mög­li­che ver­wen­det wird,  als dem berühm­ten grie­chi­schen Bau­werk. Phia Ménard, die "Immo­ral Tales – Part 1: Mother House" als Per­for­mance mit der docu­men­ta 2017 in Kas­sel kopro­du­zier­te, sag­te dort zu ihrem künst­le­ri­schen Konzept:

Com­pa­gnie Non Nova, Phia Ménard, Foto ©️Jean Luc Beaujault

"Wie Sie habe ich die euro­päi­sche Kon­flikt­ge­schich­te geerbt … Eine neue Ära des Cha­os ist in Vor­be­rei­tung, oder viel­leicht hat sie ein­fach nie auf­ge­hört zu wach­sen." Ménard bezieht sich dabei auf Tscher­no­byl, den Mau­er­fall, den Patri­ot Act im Rah­men von 9/11 und das Ende der demo­kra­ti­schen Wahl in Griechenland.

In ihrer Per­for­mance sägt sie schließ­lich unter ohren­be­täu­ben­dem Lärm mit der Ket­ten­sä­ge vie­le Läng­strei­fen in die Sei­ten­wän­de des Rie­sen­kar­tons und bricht die Räu­me zwi­schen den ent­ste­hen­den Säu­len aus. Für kur­ze Zeit gleicht der impro­vi­sier­te Bau sei­nem anti­ken Vor­bild, erin­nert kurz an des­sen Wür­de und Größe.

Com­pa­gnie Non Nova, Phia Ménard, Foto ©️Jean Luc Beaujault

Doch dann fängt es an, wie aus Kan­nen zu schüt­ten und inner­halb weni­ger Minu­ten sackt der impo­san­te Tem­pel in sich zusam­men. Was für ein Bild, was für eine Meta­pher für die heu­ti­gen gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Euro­pa, die lan­ge vor dem Ukrai­ne­krieg begannen.

Phia Ménard seziert in "Mother House" auch die moder­ne "Idee" Euro­pas, die nach den Flä­chen­bom­bar­de­ments der Alli­ier­ten im 2. Welt­krieg und dem fol­gen­den US-ame­ri­ka­ni­schen Mar­shall­plan begann. Mit ihren "Immo­ral Tales" fragt sie sowohl nach den ideel­len Wer­ten die­ser Gemein­schaft als auch nach dem Bau­ma­te­ri­al, aus dem die­se entstand.

Und man ver­spürt in die­ser ful­mi­nan­ten One-Woman-Show nahe­zu kör­per­lich sowohl die mensch­li­che Grö­ße als auch die gleich­zei­ti­ge Hybris, als die­ses kul­tu­rel­le Bau­werk den Natur- und den akus­tisch auch asso­zi­ier­ten Kriegs­ge­wal­ten zum Opfer fällt. Und alles im Was­ser bezie­hungs­wei­se im Nebel verschwindet. 

ZUHAUSE ist das Mot­to und der Asso­zia­ti­ons­raum, in dem sich das dies­jäh­ri­ge Pro­gramm von UNIDRAM bewegt. Und: das Rui­nen­feld oder die Bau­stel­le, die Phia Ménard am Eröff­nungs­abend hin­ter­las­sen hat, wirk­te anfangs total ver­stö­rend, im Gan­zen jedoch nicht voll­kom­men hoffnungslos.

Astrid Priebs-Trö­ger

08. November 2023 von Textur-Buero
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