Die letzte Schicht

Die Arbeit der Koh­le­ar­bei­ter: innen in den Koks­fa­bri­ken von Lauch­ham­mer in der Nie­der­lau­sitz war schwer. Nicht nur kör­per­lich, son­dern auch der Phe­nol- oder Ammo­ni­ak­ge­stank sowie der ohren­be­täu­ben­de Maschi­nen­lärm setz­te ihnen zu. Und doch sag­ten vie­le, als ihre Bri­kett­fir­men Anfang der 1990er Jah­re abge­wi­ckelt wur­den, "dass sie sofort wie­der in die Koh­le gehen würden."

Die Foto­gra­fin Chris­ti­na Glanz (*1946) hat die­se Män­ner und Frau­en über meh­re­re Jah­re beglei­tet und ihre Foto­gra­fien der dama­li­gen wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen und sozia­len Ver­än­de­run­gen sind jetzt in einer Aus­stel­lung im Haus der Bran­den­bur­gisch-Preu­ßi­schen Geschich­te zu sehen.

In den Bri­kett­fa­bri­ken 1992 – 1994 © Chris­ti­na Glanz

Und das ist gut so. Denn noch immer kämpft die Nie­der­lau­sitz als bedeu­tends­ter Ener­gie­stand­ort Ost­deutsch­lands mit den Fol­gen der wirt­schaft­li­chen Trans­for­ma­tio­nen seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung. Und seit­dem wer­den werk­tä­ti­ge Men­schen viel zu sel­ten foto­gra­fiert; die rea­le Arbeits­welt ist als Sujet zeit­ge­nös­si­scher Fotograf:innen so gut wie verschwunden.

Umso fas­zi­nie­ren­der ist es, jetzt die schwarz-weiß Fotos der Kohlearbeiter:innen, die vor­wie­gend in den 1990er Jah­ren ent­stan­den, anzu­schau­en. Schon die älte­re Frau vom Aus­stel­lungs­pla­kat zeigt so viel geleb­tes Leben in ihrem her­ben Gesicht, das man sofort neu­gie­rig auf die Geschichte(n) dahin­ter wird.

Und die gibt es in die­ser Foto­aus­stel­lung eben­falls exem­pla­risch zu hören. Denn Chris­ti­na Glanz war mehr als ein­mal in den Koks­fa­bri­ken unter­wegs und hat vor allem auch zu den zahl­rei­chen Frau­en, die dort in Män­ner­be­ru­fen zum Bei­spiel als Maschinist:innen arbei­te­ten, ver­trau­ens­vol­le Bezie­hun­gen entwickelt.

Tages­bri­ga­de aus dem Nass­dienst Bri­kett­fa­brik 65 am 30. März 1993 © Chris­ti­na Glanz

Sodass sie vie­le von ihnen auch in der Situa­ti­on, in der sie ihre end­gül­ti­ge Kün­di­gung erhiel­ten, foto­gra­fie­ren durf­te. Im Aus­stel­lungs­teil "Die Kün­di­gun­gen" von 1993 sind 14 von ihnen in die­sem beson­de­ren Moment abge­lich­tet. Wir sehen neben den Frau­en genau­so vie­le Män­ner aller Alters­klas­sen und aus ver­schie­de­nen Arbeitsbereichen.

Ölver­schmiert im Blau­mann oder mit Schlips und Kra­gen neh­men sie den wei­ßen Brief, der eigent­lich ein blau­er ist, ent­ge­gen. Die­se schwer­wie­gen­de Bot­schaft wird sehr unter­schied­lich auf­ge­nom­men und als Moment­auf­nah­me auf den Film gebannt.

Abhän­gig vom Alter und auch der Posi­ti­on der Por­trä­tier­ten sind sowohl Wut als auch Resi­gna­ti­on, Über­ra­schung und Unglau­ben, Schick­sals­er­ge­ben­heit und Krän­kung als auch Trau­rig­keit und Wider­stand zu spüren.

Denn die Por­trä­tier­ten haben zum Teil jahr­zehn­te­lang ihren Mann bezie­hungs­wei­se ihre Frau gestan­den, in einem Indus­trie­be­reich, der für die jun­ge DDR über­le­bens­wich­tig war. Denn die Braun­koh­le­hoch­tem­pe­ra­tur­ver­ko­kung ent­stand Anfang der 1950er Jah­re in Lauch­ham­mer, weil der kapi­ta­lis­ti­sche Wes­ten ein Stein­koh­le­em­bar­go gegen die sozia­lis­ti­sche deut­sche Repu­blik verhängte.

Vie­le Men­schen kamen, um in der Nie­der­lau­sitz schwer zu arbei­ten und gut zu ver­die­nen, Män­ner und Frau­en glei­cher­ma­ßen und wenn man die 12 Kol­lek­tiv­fo­tos unter dem Titel "Die letz­te Schicht" von 1992–94 ansieht, merkt man schnell, wie divers – im Sin­ne von Alter oder Aus­bil­dungs­stand – die­se Bri­ga­den waren. Und in den Inter­views erfährt man, dass neben hoch­qua­li­fi­zier­ten Facharbeiter:innen auch Men­schen mit Alko­hol­pro­ble­men dort schuf­te­ten und sozi­al auf­ge­fan­gen wurden. 

Zudem sind noch Fotos von Jugend­li­chen bei der vor­mi­li­tä­ri­schen Aus­bil­dung und nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung zu sehen, was wohl kura­to­risch als Kon­tras­tie­rung zum gezeig­ten Arbeits­ethos gedeu­tet wer­den kann. Gebraucht hät­te es das nicht, son­dern viel­mehr Fotos von Lauch­ham­mer oder sogar den pri­va­ten Räu­men der Arbei­ter: innen hät­ten die­se bemer­kens­wer­te Expo­si­ti­on noch rund(er) gemacht. 

Letzt­end­lich wird in nahe­zu jedem Foto sicht- und spür­bar, wie grund­le­gend anders als heu­te die sozia­lis­ti­sche Arbeits­welt orga­ni­siert war und wie sehr die Men­schen ihre Arbeit als her­aus­for­dern­de Lebens­auf­ga­be, denn als "Job" ansa­hen. In den ein­drucks­vol­len Fotos sind der Stolz und die Wür­de, aber auch die Erschöp­fung und die Kraft die­ser Arbeiter:innen bis jetzt zu spüren.

Astrid Priebs-Trö­ger

01. November 2023 von Textur-Buero
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