Begegnungen auf Distanz

Aus­ge­rech­net die Coro­na-Pan­de­mie bewirk­te, dass Ani­ta Twa­rows­ka und Mur­il­lo Bas­so – anders als vie­le ande­re – ins ana­lo­ge Zeit­al­ter zurück­ge­kehrt sind.

Das pol­nisch-bra­si­lia­ni­sche Tanz­duo hat­te für 2021 eigent­lich den drit­ten Teil sei­ner Tri­lo­gie "Begeg­nung" geplant, doch kurz nach der Pre­mie­re von "Let us stay" wur­de im März 2020 die Pan­de­mie aus­ge­ru­fen und Mur­il­lo Bas­so konn­te Bra­si­li­en nicht verlassen.

Ani­ta Twa­rows­ka und Mur­il­lo Basso

Wie vie­le ande­re Künstler:innen welt­weit ver­such­ten sie, sich mit den neu­en digi­ta­len Mög­lich­kei­ten anzu­freun­den. Doch bei­de stell­ten in ihren ZOOM-Mee­tings schnell fest, dass ihnen die Emo­tio­na­li­tät und Kör­per­lich­keit ihrer vor­he­ri­gen tän­ze­ri­schen und cho­reo­gra­fi­schen Zusam­men­ar­beit fehlte.

Über eine Pro­jekt­aus­schrei­bung des Goe­the-Insti­tuts von Sao Pau­lo zum The­ma "Krea­ti­ve Pro­zes­se über Distanz" began­nen sie zu unter­su­chen, mit wel­chen ande­ren als den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, sie über mehr als 10.000 Kilo­me­ter Distanz ech­te Nähe und Ver­bin­dung her­stel­len könnten.

Gemein­sam ent­wi­ckel­ten sie eine Struk­tur für einen 30-tägi­gen Pro­zess, in dem sie sich vier Mal an vier ver­schie­de­nen Orten in Sao Pau­lo und Pots­dam "tref­fen" wür­den. Ani­ta Twa­rows­ka begab sich mit einem Kame­ra­mann bei­spiels­wei­se zu dem Fens­ter des Zim­mers, das Mur­il­lo Bas­so wäh­rend sei­ner frü­he­ren fabrik-Resi­den­zen bewohn­te bezie­hungs­wei­se an den Hei­li­gen See, an des­sen Ufern bei­de oft spa­zie­ren gegan­gen waren.

Hier wur­den jeweils 11-minü­ti­ge Impro­vi­sa­tio­nen, in denen sie der tän­ze­ri­schen Ver­bin­dung mit Bas­so nach­spür­te, auf­ge­zeich­net. Nach jedem Ter­min, von denen auch er vier in Sao Pau­lo absol­vier­te, schrie­ben sie sich direkt im Anschluss Brie­fe. Die­se brauch­ten in jede Rich­tung bei­na­he drei Wochen, ehe sie ankamen.

So kon­kret in das ana­lo­ge Zeit­al­ter zurück­ge­be­amt, wuchs ihre Sehn­sucht nach der Ant­wort des jeweils ande­ren und auch das Gefühl der Lee­re, dass sie nicht wirk­lich mit­ein­an­der tan­zen kön­nen, bei­na­he ins Uner­mess­li­che. Aber auch die Offen­heit, über sehr pri­va­te Din­ge wie den Tod der Groß­mutter oder eines Freun­des mit­ein­an­der zu reden.

Ihre star­ke men­ta­le Ver­bin­dung unter­ein­an­der wur­de außer­dem mit einer täg­li­chen Medi­ta­ti­on – jeweils 19 Uhr für 11 Minu­ten – geübt. Doch es konn­te auch vor­kom­men, dass Mur­il­lo Bas­so "Sor­ry, dass ich nicht da war" an einem Tag, an dem er viel unter­wegs war, schrieb. Auch dies tat er nicht per SMS oder Mail, son­dern jemand Drit­tes befüll­te einen Insta­gram-Account mit den Mate­ria­li­en (Tex­te und Fotos), die bei der/über die Fern­kom­mu­ni­ka­ti­on ent­stan­den. Dies war für das Publi­kum der Akti­on, jedoch nicht für sie selbst gedacht.

Insta­gram-Account: https://www.instagram.com/dancaremos.a.distancia/?hl=de

Ani­ta Twa­rows­ka hat sich, wie sie sagt, auf einer men­tal-ener­ge­ti­schen bzw. tele­pa­thi­schen Ebe­ne mit Mur­il­lo Bas­so ver­bun­den gefühlt, indem sie sich (aus der Erin­ne­rung) vor­stell­te, sie wür­den gera­de zusam­men tan­zen. Manch­mal war das unge­heu­er inten­siv, ein ande­res Mal fühl­te sie sich dis­con­nec­ted. Und auch er hat­te, wie er sagt, gro­ßes Ver­trau­en, dass sie in den ver­ein­bar­ten Momen­ten ein­fach da ist.

2022 konn­ten sich bei­de end­lich wie­der direkt in der Pots­da­mer fabrik begeg­nen. Und an ihrer Begeg­nungs-Tri­lo­gie arbei­ten, die von den Erfah­run­gen des künst­le­ri­schen Begeg­nungs­pro­zes­se auf Distanz pro­fi­tiert hat. "Here we are" heißt deren Abschluss und er wird im Rah­men von Made in Pots­dam am 13. Janu­ar in der Stadt- und Lan­des­bi­blio­thek im Bil­dungs­fo­rum uraufgeführt.

Aus den archi­vier­ten Mate­ria­li­en der künst­le­ri­schen Begeg­nungs­pro­zes­se wäh­rend der Pan­de­mie ent­stand bereits vor­her eine Bild- und Ton­in­stal­la­ti­on, die ab 11. Janu­ar in der Biblio­thek zu sehen ist, der die bei­den Tänzer:innen an vier Ter­mi­nen durch ihre kör­per­li­che Prä­senz vor Ort eine neue Dimen­si­on hin­zu­fü­gen werden.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Arbeit an die­sem Arti­kel wur­de "geför­dert durch die Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medi­en im Pro­gramm NEUSTART KULTUR, Hilfs­pro­gramm DIS-TANZEN des Dach­ver­band Tanz Deutsch­land."

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09. Januar 2023 von Textur-Buero
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