Egal, was kommt?
Manche Lebensträume zeigen sich schon im Kindergartenalter. So war es jedenfalls bei Christian Vogel, der seinen Wunsch nach einer Weltumrundung schon damals in einer Zeichnung verewigte. Drei Jahrzehnte später war für den Fernsehjournalisten genau der richtige Zeitpunkt gekommen, diese immer wieder auftauchende Vision endlich in die Tat umzusetzen.
50.000 Kilometer, 22 Länder und 600 Stunden Filmmaterial
Der damals 34-Jährige kündigte 2015 Job und Wohnung und brach auf zu seiner fast einjährigen Motorradtour – ausgehend von den USA durch 22 Länder in Asien und Europa zurück nach Deutschland. Über 50.000 km hat er dabei in 333 Tagen zurückgelegt und aus 600 Stunden Videomaterial im Anschluss den Film "Egal was kommt" gemeinsam mit Simon Busch und Christian Frank produziert.
Einen Tag vor dem offiziellen Filmstart war Vogel im Potsdamer Thalia Kino zu Gast und präsentierte eloquent sein zweistündiges Roadmovie. Und das lohnt sich wegen der beeindruckenden Bilder und dem dauernd erzeugten Gefühl des Mittendrinseins anzuschauen. Man hat das Gefühl, selbst auf dem Motorrad zu sitzen. Doch der Film zeigt auch, wie sehr es inzwischen bei weißen Männern der weltweiten Mittelschicht dazugehört, die wirklichen Abenteuer im Leben nicht in ihrem durchregulierten (Arbeits-)Alltag, sondern in wohlkalkulierten Abenteuern in der Ferne zu suchen.
Das "Abenteuer" immer im Griff
Auch Christian Vogel tut dies. Nicht ohne gründliche Vorbereitung und Social-Media-Vernetzung mit Bikern aus aller Welt, sondern auch mit einer BMW Adventure, für die der deutsche Hersteller mit dem aufschlussreichen Slogan "Das Abenteuer immer im Griff" wirbt. Und so erlebt der Zuschauer zwar, wie Vogel in der Mongolei wirklich nicht mehr allein weiterkommt oder in Indien sogar einen Unfall hat. Doch mit genügend Geld und tatkräftiger logistischer Unterstützung aus der Heimat ist das letztlich kein Problem.
Zum Glück erkennt der jetzige Enddreißiger dies selbst, und sagt auch im Filmgespräch, dass er hierzulande eigentlich keine Probleme, sondern höchstens Sorgen hat oder Hürden überwinden muss. Dies sei eine Erkenntnis dieser Reise, in der er in Russland, Pakistan oder Indien Menschen – im Film sind dies nur Männer – begegnete, mit denen er in unserer hierzulande überaus segregierten Welt niemals in Kontakt kommen würde. Man sieht ihn privat bei russischen Bikern übernachten oder mit indischen Wanderarbeitern in deren karger Unterkunft das Mittagessen teilen.
Männerbegegnungen und ‑rituale
Eigentlich wollte Vogel ein Jahr Auszeit vom Beruf nehmen, doch die Kamera ist bei dieser Reise immer dabei und Christian Vogel porträtiert damit vor allem sich und seine imposante Maschine. In nahezu jeder Lebenslage und in Manier der vorherrschenden Selfie-Kultur. Da ist zu wenig Platz für die Wegbegleiter und manches – wie die Begegnung mit dem türkischen homosexuellen Mann – gerät arg klischeehaft. Im Film werden auch Graphic Novel-Elemente eingesetzt und flankieren die Roadmovie-Sequenzen. Sie "illustrieren" beispielsweise den Verkehrsunfall – doch von dessen Ausgang für den anderen Beteiligten erfährt der Zuschauer nichts.
Vogels Roadmovie ist auch eine Liebesgeschichte. Seine neue Freundin unterstützt ihn mental und logistisch aus der Heimat. Sie kommt nach einem halben Jahr für einen Strand-Urlaub nach Indien. Und irgendwie wird man als Beobachterin das Gefühl nicht los, dass die hergebrachte Rollenverteilung hier subtil ein Hochglanz-Comeback feiert. Ansonsten ist das Liebespaar regelmäßig über Skype verbunden. So ist dieser Film auch ein vielsagendes Zeugnis dafür, wie die modernen Kommunikationsmittel das Reisen verändern: Richtig Wegsein geht eigentlich nicht mehr. Nahezu in Echtzeit erfahren auch die daheimgebliebenen Eltern alles über das gemeinsame Projekt.
Beredtes Zeugnis der Selfie-Kultur
Und last but not least: Die entstandenen Bilder werden umgehend einem Verwertungsprozess zugeführt. Christian Vogel sagte auf Nachfrage eines Zuschauers, dass auch ein Buch geplant sei, in dem auf jeden Fall die zwölf Geschichten Eingang finden, die er bereits auf der Reise verfasste. Die ja eigentlich eine berufliche Auszeit sein sollte. Schöne neue (Reise-)Welt!
Astrid Priebs-Tröger