Etwas, das dem Glück ähnelt

Voll­kom­men los­ge­löst von her­kömm­li­chen Zir­kus­kli­schees war die ori­gi­nel­le Tra­pez­num­mer "Thin Skin", die drei tsche­chi­sche Artist: innen am 3. Uni­dram-Abend in der fabrik als Para­de­bei­spiel für Neu­en Cir­cus präsentierten.

Alž­bě­ta Tichá, Lukas Bliss und Eliš­ka Brt­nická tra­ten dar­in in grau­en Arbeits­over­alls auf und setz­ten ihre vier Tra­pe­ze aus lan­gen schwar­zen Eisen­stan­gen und dün­nen Schnü­ren nach und nach selbst und wie zu einem Mobilé zusammen.

Eliš­ka Brt­nická & coll.,Thin Skin, ©Anna Benháková

In die­sem Ent­ste­hungs­pro­zess ent­stan­den wun­der­bar gra­fi­sche Kom­po­si­tio­nen und vie­le kon­tem­pla­ti­ve Momen­te beim Betrach­ten der Ver­bin­dun­gen zwi­schen Mensch und Mate­ri­al und deren Balan­ce. Denn die­ses  Trio arbei­te­te unge­mein prä­zis, ver­bind­lich und verbindend.

Sie kre­ierten mit "Thin Skin" ein mini­ma­lis­ti­sches Gesamt­kunst­werk aus Akro­ba­tik, Tanz, Bezie­hun­gen und Tech­nik, das vor allem in sei­ner Schlicht­heit und Inten­si­tät faszinierte.

Nach die­sem über­aus medi­ta­ti­ven Pro­gramm­punkt wur­de man zu einer inter­ak­ti­ven Zug­fahrt mit dem wun­der­vol­len Titel "Eine Hand­voll Leu­te und etwas, das dem Glück ähnelt" vom fran­zö­si­schen Vélo Thé­ât­re ein­ge­la­den. Im T‑Werk muss­ten die Rei­sen­den zuerst wie im rich­ti­gen Leben unbe­stimm­te Zeit am Bahn­steig war­ten, ehe sie ein­zeln von den bei­den char­man­ten Zug­be­glei­tern ihre num­me­rier­ten Tickets und ers­te Anwei­sun­gen erhielten.

Velo Theat­re, A‑handful-of-people…-something-which-resembles-happiness-©-Christophe-Loiseau

Denn die­sen Zug, mit dem sie in den kom­men­den 90 Minu­ten fah­ren wür­den, den gab es noch gar nicht. Statt­des­sen eine alte Bahn­hofs­uhr, die­se zwei skur­ri­len Schaff­ner, einen ein­fühl­sa­men Musi­ker und einen Berg von höl­zer­nen Klapp­stüh­len. Schon die­se ers­te Situa­ti­on, sich dar­aus sei­nen eige­nen num­me­rier­ten Sitz­platz zu zie­hen, ermög­lich­te – wie in frü­he­ren Zei­ten üblich – ers­te Inter­ak­tio­nen zwi­schen den zufäl­li­gen Fahrgästen.

Und ihnen folg­ten vie­le wei­te­re, die Char­lot Lemoi­ne und José Lopez in eng­lisch-fran­zö­sisch-deut­schem Sprach­misch­masch mit Charme, Chuz­pe und (deut­schem?) Ord­nungs­sinn kre­ierten. So  diri­gier­ten sie die etwa 70 Rei­sen­den bei der Her­stel­lung einer kor­rek­ten Sitz­ord­nung, bei der Eva­ku­ie­rung wegen einer her­ren­lo­sen Tasche und auch auf­grund der anste­hen­den nächt­li­chen Zug-Reinigung.

Velo Theat­re, A‑handful-of-people…-something-which-resembles-happiness-©-Christophe-Loiseau

Und was in der ers­ten Vor­stel­lung die­ses 3. Uni­dram-Abends so schlicht, mini­ma­lis­tisch und effek­tiv insze­niert war, ent­wi­ckel­te sich hier als fan­ta­sie­voll ver­schlun­ge­ne Rei­se nach Roma bezie­hungs­wei­se "Amor" in ana­lo­ger Echt­zeit, die einem an eini­gen Stel­len zu lang wer­den konn­te, weil man sich heut­zu­ta­ge vom Zug­fah­ren vor allem die schnellst­mög­li­che und stö­rungs­freie Beför­de­rung von A nach B erhofft.

Nicht so im Vélo Thé­ât­re, des­sen Macher:innen um Char­lot Lemoi­ne und Tania Cas­taing seit 1981 vor allem dar­an arbei­ten, eine poe­ti­sche Bezie­hung zum Publi­kum auf­zu­bau­en. Dabei haben sie die Ent­wick­lung des Objekt­thea­ters in Frank­reich ent­schie­den mit­ge­prägt und man merkt an vie­len klei­nen Objekt-Details, wie dar­über Bezie­hun­gen auch in die­sem bun­ten Rei­se­k­os­mos entstehen.

Der Abend, bei dem man die kür­zes­te Zeit in einem wun­der­bar ima­gi­nier­ten Zug ver­bringt, fin­det sei­nen Höhe­punkt mit einer alt­mo­di­schen Modell­ei­sen­bahn­an­la­ge. Die die Her­zen von allen, die es lie­ben zu spie­len, höher schla­gen und einen zugleich weh­mü­tig an die Zeit, als das Rei­sen und Spie­len noch Spaß mach­ten und man sich vor allem Zeit dafür nahm, zurück­den­ken lässt.

Astrid Priebs-Trö­ger

10. November 2023 von Textur-Buero
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