Freiräume schaffen und Träume leben
"Dunkel und spannend", so beschreibt die Zeitzeugin und Journalistin Heidi Jäger aus der Erinnerung ihre Eindrücke von der fabrik. Erstes bezieht sich auf das Hofgelände in der Gutenbergstraße 105, letzteres auf das Programm, das dort geboten wurde. "Die brachten einfach die Welt zu uns, damals so kurz nach der Wende und zeigten Produktionen aus Ländern, in denen wir noch nicht gewesen waren und verhandelten Themen, mit denen wir uns noch nicht beschäftigt hatten."
Heute erinnert in den sanierten Lindenarcaden nichts mehr daran, dass junge Menschen, die sich auch der ehemaligen Oppositionsbewegung zugehörig fühlten, im Wendewinter 1989/90 das verlassene Fabrikgebäude besetzt und in ein soziokulturelles Zentrum umgewandelt haben.
Diese jungen Kreativen, unter ihnen Studenten und Auszubildende, hatten als selbst ernannte "Selbsthilfegruppe" eine Vision: Sie wollten für sich und andere Räume schaffen, um ihr kreatives Potenzial zu erfahren und auszuprobieren.
"Durch die Zusammenführung verschiedener Kunstrichtungen unter einem Dach – Zeitgenössischer Tanz, Körpertheater und Independent-Musik – versucht die fabrik, festgefahrenen Strukturen, wie der strikten Trennung von Kunstmachern und –konsumenten, Profis und Autodidakten entgegenzuwirken", heißt es in einer ihrer ersten Selbstdarstellungen.
Zur fabrik-Kerngruppe gehörten: Jörg Peter Salge, Helen Thein, Gitti Schulz, Marina Schüler, Birgit Matzke, Wolfgang Hoffmann und Sven Till. Letztere gelten als "Gründungsväter"; Sabine Chwalisz kam 1992 dazu. Die Kreuzberger Architektin und Tänzerin Heide Moldenhauer hat sich bei der Sanierung verdient gemacht.
Die fabrik-Aktivisten wollten "über Selbstverwaltung und Eigenfinanzierung der kapitalistischen Vermarktung des Kulturbetriebes entgehen". Es begann also mit viel Idealismus und mit an "Wahnsinn grenzendem Enthusiasmus", wie einer der Mitstreiter damals zu Protokoll gab. In dem halben Jahr bis zum Sommer 1990 waren viele Helfer aktiv; fast einhundert Kubikmeter Schutt wurden entfernt.
Gemeinsam versuchten sie, aus dem maroden vierstöckigen Gebäude ein funktionierendes Kulturhaus zu machen, was nur zum Teil gelang. Denn das undichte Dach in dem seit Jahren leerstehenden Gebäude war nicht zu sanieren. Aber "wer macht, hat Macht", sagte Wolfgang Hoffmann damals. Bereits im September 1990 starteten die erste eigene Veranstaltungsreihe und ein Hoffest mit großer Resonanz.
Bald begannen sich auch der Verein Argus, die Stadtverwaltung und die Kommunale Wohnungs- verwaltung für die Kultur-Aktivisten zu interessieren. Weihnachten 1991 begannen Fördermittel in Höhe von 200.000 DM zu fließen.
Davor hatte Wolfgang Hoffmann schon den Entschluss gefasst, die nächsten Contact-Jam-Tage nach Potsdam zu holen – ohne jegliche eigene Festivalerfahrung. Vom 21. bis 29. Juni 1991 wurden so die 1. Potsdamer Tanztage im noch heute bestehenden Format aus der Taufe gehoben. Etwa achtzig Leute nahmen damals an den beiden Contact-Jam-Wochenenden teil und mehrere Hundert sahen die Shows von Roberto Castello, Thomas Guggi sowie Eigenproduktionen der fabrik und der tanzfabrik Berlin.
Doch der schnelle Erfolg barg auch Konfliktstoff: Denn Selbstverwaltung wollte gelernt sein. Der Umgang mit (viel) Geld und die Möglichkeit zur Einstellung von Menschen erzeugte Ungleichheit und schuf Hierarchien. Ab 1992 wurde ein Einheitslohn eingeführt. Eine weibliche Mitstreiterin gab damals zu Protokoll, dass sie unter dem "Paschatum" in der fabrik leide. Aber sie sagte auch: "Trotzdem war es geil, an der fabrik rumzubasteln, an einer gemeinsamen Idee von freier Kultur."
Astrid Priebs-Tröger
Die Zitate und Fotos sind Auszüge aus Archivmaterial der fabrik Potsdam.