Ich und Wir

Drei Män­nern hat die Tän­ze­rin und Cho­reo­gra­fin Hei­di Weiss ihre neue Cho­reo­gra­fie gewid­met und neben ihrem Vater Hal Weiss und ihrem Men­tor Man­fred Fisch­beck ist der bud­dhis­ti­sche Zen-Meis­ter Thich Nhat Hanh sicher der bekann­tes­te von ihnen.

Sein "We can­not just be by our­sel­ves alo­ne; we can only inter-be with ever­yo­ne and ever­y­thing else" hat sie ihrer "Interbeing"-Produktion mit sie­ben Ber­li­ner Tänzer*innen, die zwi­schen 47 und 57 Jah­re alt sind, vorangestellt.

"Inter­be­ing" – bedeu­tet so viel wie die wech­sel­sei­ti­ge Ver­bun­den­heit allen Lebens. Und die tanz- und lebens­er­fah­re­nen Performer*innen kre­ieren gleich zu Beginn ein wun­der­ba­res Bild: Unter einem blau leuch­ten­den Kreis an der Büh­nen­rück­wand, in dem Pro­jek­tio­nen von Mee­res­wel­len rau­schen, haben sie sich selbst in einem sol­chen auf­ge­stellt und prak­ti­zie­ren Tai-Chi-ähn­li­che Bewe­gun­gen an ihrem jewei­li­gen Platz.

Man könn­te dem star­ken Mee­res­rau­schen und dem sanf­ten Bewe­gungs­fluss der rei­fen Erwach­se­nen stun­den­lang zuse­hen. Man inter­es­siert sich nicht dafür, wie alt sie sind, wel­ches Geschlecht sie haben oder wel­che Spra­chen sie spre­chen. Man sieht ihre flie­ßen­den Bewe­gun­gen, spürt ihr Sein im Augen­blick, und wird selbst etwas ruhi­ger, wenn man mit ihnen in Reso­nanz geht.

Doch nach und nach löst sich die/das Run­de auf, in eine Linie, in Klein­grup­pen, in Ein­zel­ne und das/ein  The­ma von "Inter­be­ing" stellt sich immer wie­der in den Raum: der Ein­zel­ne und die Grup­pe, das Ich und das Wir – und: wie geht das zusam­men in unse­rer (moder­nen) Gegenwart?

"Inter­be­ing" zeigt – jetzt unter sie­ben roten Leucht­stoff­röh­ren, die senk­recht von der Decke hän­gen – den Ein­zel­nen und schließ­lich auch des­sen Ver­ein­ze­lung. Sicher, man nimmt die jewei­li­gen Per­so­nen jetzt stär­ker wahr, inter­es­siert sich mehr ihre ganz spe­zi­el­le Individualität/Rolle aber die star­ke und über­flie­ßen­de Grup­pen-Ener­gie stellt sich als Flow nicht mehr (so leicht) her.

Statt­des­sen gibt es in der Per­for­mance-Mit­te ein baby­lo­ni­sches Spra­chen­ge­wirr, wo Ein­zel­ne ihr Gewor­den­sein reflek­tie­ren wol­len, jedoch in der (Sprech-)Masse unter­ge­hen oder etwas spä­ter, immer wie­der Spots, die auf ein­zel­ne Künstler*innen gerich­tet wer­den. Dar­in frie­ren alle Por­trä­tier­ten mit dem glei­chen künst­li­chen Lächeln ein und man sieht, wie außer­halb des Ram­pen­lichts hef­tig um den "Platz an der Son­ne" gekämpft wird. Und eine sehr zer­stö­re­ri­sche Ener­gie sich aller bemächtigt.

Irgend­wann geht einer der Tän­zer zu einem klei­nen Häuf­chen Erde am Büh­nen­rand, lässt sie durch sei­ne Hand rie­seln und erdet sich buch­stäb­lich, indem er sein Gesicht in sie hin­ein drückt. Etwas, das immer mehr Men­schen, die dem über­bor­den­den "Höher, Schnel­ler, Wei­ter" der moder­nen Leis­tungs­ge­sell­schaf­ten und ihrer unna­tür­li­chen Linea­ri­tät nicht mehr stand­hal­ten kön­nen oder wol­len, eben­falls tun.

"Wir kön­nen nicht nur für uns allein sein; wir kön­nen nur mit allen und allem ande­ren zusam­men sein" – dies zei­gen Esther Cowens, Fran­cis­co Cuer­vo, Lou­ren­ço Homem, Jean Marc Lebon, Jen­ni­fer Mann, Jes­sy Lay­ne Tud­den­ham und Hei­di Weiss in "Inter­be­ing" ein­drück­lich und zwar mit den Erfah­run­gen ihres lan­gen Tänzer*innenlebens im Gepäck.

Jetzt bleibt nur noch der Wunsch, dass sie die­se Erfah­rung mit ande­ren, Jün­ge­ren und Älte­ren, zu tei­len ver­mö­gen. Und wir alle, bevor das neo­li­be­ra­le Sys­tem die Grund­la­gen des Lebens für die Mensch­heit (end­gül­tig) zer­stört,  Wege fin­den uns mit unse­rer urei­ge­nen koope­ra­ti­ven Natur zu verbinden.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Arbeit an die­sem Arti­kel wur­de "geför­dert durch die Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medi­en im Pro­gramm NEUSTART KULTUR, [Hilfs­pro­gramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dach­ver­band Tanz Deutschland."

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12. September 2022 von Textur-Buero
Kategorien: Allgemein, Tanz | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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