Immer schön durchatmen!
Üblicherweise nimmt jetzt im Frühjahr das öffentliche kulturelle Leben wieder an Fahrt auf. Doch in diesem Jahr ist alles anders, weil uns ein Virus mit wunderschönem und ungemein doppeldeutigem Namen (lat. "Krone" oder "Kranz") fest im Griff hat.
Ich erspare mir hier aufzuzählen, was bei mir/uns nicht mehr geht. Ich bin als freie Kulturjournalistin ohnehin Homeoffice gewöhnt und zyklisch auftretende Auftragsflauten auch. Da musste ich als Soloselbstständige schon vorher immer einen langen Atem haben …
Und mit kleinem C02-Abdruck lebe ich, seit ich Mutter und Großmutter wurde, ebenfalls. Also alles normal? Mitnichten. Gerade wird wahnsinnig viel von "Solidarität" gesprochen, das ist schön und doch bei diesem Shutdown (was für ein Wort!) alles andere als selbstverständlich.
Denn was mir ganz entscheidend fehlt, ist soziale Nähe, die wir gerade jetzt vermeiden sollen. Da ich erkältet bin, fiel der 5. Geburtstag meiner Enkelin am vergangenen Montag für mich aus. Und jetzt, wo so Viele psychisch verunsichert sind, kann man zwar den Telefonhörer in die Hand aber einander nicht in den Arm nehmen.
Ein ganz wunderbares Bild für unsere jetzige Situation habe ich im isländischen Film "Sture Böcke" gesehen, der bis zum 12. April in der ARD-Mediathek abrufbar ist. Die beiden Brüder, die darin neben vielen Schafen die Hauptrollen spielen, haben, obwohl sie nebeneinander leben, seit vierzig Jahren nicht mehr miteinander geredet. Wenn sie sich etwas mitzuteilen haben, schreiben sie es auf einen Zettel und lassen es durch einen Hund dem jeweils anderen überbringen.
Dann wird bei ihren Herden eine Tierseuche (Scrapie) festgestellt und alle Tiere müssen sofort getötet werden. Während der Eine sich daraufhin endgültig dem Suff ergibt, wählt der Andere sechs seiner geliebten Tiere aus und versteckt sie in seinem Keller. Sie sollen der Grundstock einer neuen Herde sein.
Denn er kann genauso wie sein trunkener Bruder ohne die Tiere nicht leben! Doch da die Veterinäre immer wieder auf den Höfen auftauchen, um zu desinfizieren und zu kontrollieren, fliegt das Ganze auf. Die Polizei rückt bei heftigem Schneetreiben an und will die restlichen Tiere töten.
Während der Film bis dahin schon fesselte, verschlägt es einem bei seinen letzten Bildern endgültig den Atem. Denn sie zeigen, wie überlebensnotwendig gerade körperliche Nähe ist. Meine Empfehlung: unbedingt ansehen! Und Mittel und Wege finden, jetzt vor allem sich selbst und später andere wieder in den Arm zu nehmen.
Gestern hatte ich noch so ein berührendes Erlebnis. Ich war mit zwei Frauen zu einem Telefoninterview verabredet. Beide sind älter als 80 und ich kannte sie vor unserem Gespräch nicht, das ich aus Vorsicht nur per Telefon führte. Sie erzählten mir, dass sie sich von ihrer früheren Arbeitsstelle in einem DDR-Frauenverband kennen und seit 50 Jahren befreundet sind. Und sich natürlich auch jetzt gegenseitig besuchen.
Wir sprachen über viel Schweres, was beide erlebt haben, und dass ihre Freundschaft sie immer gestärkt hat. Abschließend fragte ich sie auch, ob sie auch genügend Unterstützung haben, z. B. beim Einkaufen.
Und die 80-Jährige sagte unaufgeregt, dass sie nicht viel brauche und immer ein paar Vorräte in der Kammer hat. Beide strahlten eine wunderbare Gelassenheit aus und es wäre gut, gerade jetzt, öfter mal auf solche Alten zu hören und zu spüren, was möglich ist, wenn man einfach mal tief durchatmet. Das soll auch die Lungen stärken. Und den ganzen medialen Hype nicht zu wichtig nimmt.
Und das man, um die eigenen Widerstandskräfte zu stärken, gründlich überlegt, was wirklich wichtig für einen selbst und möglicherweise auch für andere ist. Denn ich glaube, es kann danach nur besser werden, wenn wir die eigentliche "Botschaft" von Corona verstehen …
Astrid Priebs-Tröger
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