Effektvolles Spektakel
Der "Jedermann" von Hugo von Hoffmannsthal ist seit fast 100 Jahren ein Publikumsmagnet. So auch in Potsdam, als dieses "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" in der Nikolaikirche zur Premiere kam und diese restlos ausverkauft war.
Vor dem protestantischen Gotteshaus herrschte beinahe Volksfestatmosphäre, nicht nur beim 200 Meter entfernten Oktoberfest im Lustgarten, sondern auch direkt vor der Kirche wurden Getränke und Currywurst feilgeboten und Gitarrenmusik erklang.
Draußen und Drinnen: Feierstimmung
Nach dem Acht-Uhr-Glockengeläut ging es dann in der ersten Szene der Aufführung kräftig weiter mit dem Feiern. Eine Gruppe alkoholseliger Damen und Herren im Frack oder Anzug tanzten zu unheilvoll dräuenden Orgelklängen auf den Altarstufen, ließen einen Joint kreisen, schließlich Geldscheine regnen und zuletzt orgiastische Gesten folgen. Unter dem in die Apsis projizierten Sternenhimmel fielen danach alle ermattet um.
Wenig später hat der zynisch-großmäulige Gastgeber seinen ersten Auftritt. Jedermann, gespielt von Timothy Peach, der sich in als unter anderem als Adliger und Liebhaber in Fernsehfilmen und Serien einen Namen gemacht hat, schätzt sich selbst und vor allem sein Geld am meisten wert. Was kümmern ihn sein alter mittelloser Nachbar – der zart von dem 97-jährigen Herbert Köfer verkörpert wird – noch die lästigen Ermahnungen seiner biederen Mutter, sich endlich wieder dem christlichen Glauben zuzuwenden.
Prominente Protagonisten aus Film und Fernsehen
Gerade hat der Mann in den besten Jahren nur eines im Sinn: noch mehr Geld zu machen und es mit seiner blutjungen Freundin zu verprassen. Diese wird in der Inszenierung des Michendorfer Volkstheaters unter der Regie von Christian A. Schnell von Larissa Marolt – bekannt aus der Castingshow "Austria´s Next Topmodel" und Teilnehmerin im "Dschungelcamp" – verkörpert. Die mit der Rolle als Buhlschaft ihr Theaterdebüt gibt.
Vor allem optisch passt dieses Paar perfekt in die heutige Zeit. Und auch ihre oberflächlichen Gesten spiegeln überzeugend das Beziehungsverhalten in bestimmten Gesellschaftskreisen. Doch die Hoffmannsthalschen Knittelverse sind an manchen Stellen doch zu anspruchsvoll. Zumal die Arbeit mit dem Mikroport oft nicht so viel stimmlichen Druck – wie beim zeitweise hysterisch aufbrausenden Jedermann – gebraucht hätte und manches in der Kirche nur undeutlich, aber laut widerhallte.
Hauptsächlich: Schöne visuelle Effekte
Doch es kommt, was kommen muss: Max Schautzer als Gott schickt effektvoll beleuchtet den Tod, um Jedermann vor das Jüngste Gericht zu zitieren. Und: auch der reiche Mann erfährt, dass keiner seiner irdischen "Freunde" diesen Weg mit ihm gemeinsam gehen wird.
Und ab diesem Moment versucht er Vieles, um nicht einsam sterben zu müssen. Schließlich hält er sich in seiner Angst dramatisch eine Pistole an den Kopf und in den Mund und nur seine "guten Werke", die freilich ziemlich gebrechlich sind, und der Glaube, den Schautzer als Doppelrolle verkörpert, begleiten ihn schließlich. Doch – auch die im Hoffmannsthal-Stück etwas rätselhafte – "Bekehrung" hinterlässt im Potsdamer "Jedermann" keine wirklichen Gänsehautmomente.
Versöhnliches Finale mit schalem Beigeschmack
Eigentlich hätte der rücksichtslose Egomane jedoch ins Fegefeuer, das dann auch in der Teufelsszene als Flammen-Projektion eindrucksvoll eindeutig über die Bühne flimmert, gehört. Aber – so die Botschaft der (katholischen) Geschichte: (tiefe) Reue, ein (wiedergefundener) starker Glaube und "gute Werke" waschen das Sündenregister des reichen Mannes letztendlich doch noch rein.
Im Angesicht der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisen hinterlässt so ein Finale einen einigermaßen schalen Beigeschmack. Und man fragt sich auch, warum "diese Gruft aus Reimen" – so FAZ-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier – sich solcher Beliebtheit erfreut.
Astrid Priebs-Tröger