Kalt, ungerecht und ärgerlich?
Der dritte Tag bei Unidram gehörte fast vollständig der wuchtig-zarten Vater-Sohn-Performance des tschechischen Cirk La Putyka. Und während bei dieser vierstündigen Aufführung bis zur Hälfte Kommen und Gehen erlaubt war, herrschte bei "Artica" ein strenges Reglement.
Die Mimen der katalanischen Gruppe "Ponten Pie" nahmen dabei alles selbst und jede*n an die Hand. Jede*r Zuschauer*in wurde einzeln in die von außen heimelig wirkende Holzhütte eingelassen, drinnen mit einem warmen Mantel versorgt und auf einen vorbestimmten Platz gesetzt. Doch was, wenn der Sitz zu niedrig und der Mantel viel zu klein waren?
Aufbegehren oder Annehmen? Doch dies stand gar nicht zur Debatte, da von hinten schon die Nächsten in die enge, eisigkalte Stube nachrückten. Also, das Schicksal annehmen, sich für eine Stunde fügen? Auch wenn das Ganze in Anbetracht der Kälte kein Spaß mehr war?
Das (eigene) Schicksal annehmen?
Nichts anderes schien einem übrig zu bleiben – Schicksal/Zufall eben – und: schon diese elementare Erfahrung lohnt(e) den Besuch. Denn die nachfolgenden, mittels verschiedener Wintermäntel erzählten, wunderbar poetischen Geschichten entschädigten einen völlig.
Denn sie erwärmten auf wundersame Weise das Herz, verknüpften mittels langer, durch den ganzen Raum gespannter Fäden alle menschlichen Wesen darin.
Dies geschah ebenso am zweiten Abend des Festivals, als die bulgarische Gruppe "Puppet´s Lab" auf ihre ureigene Weise den Sisyphos-Mythos erzählte. Der von der Bestimmung des Menschen handelt, jeden Tag, jeden Augenblick neu den vor ihm liegenden, oft schweren Brocken hinaufzurollen auf den nicht enden wollenden Berg.
Stoyan Doychev ist dabei nie allein. Wunderbare Puppen begleiten ihn. Mal sind sie die ewig polarisierenden zwei Seelen in seiner Brust oder sie entwickeln sich zu einem vorwitzigen Sohn, mit dem der Tänzer nach und nach herrlich im Duett pfeifen kann. Doch auf dem Höhepunkt dieser leichtfüßigen Vater-Sohn-Beziehung beißt der Ältere (aus lauter Liebe?) plötzlich in den den Kopf des Kleinen und frisst ihn einfach auf.
Herzerwärmende Lebensfäden knüpfen
Auch diese wunderbare (dramaturgisch kalkulierte) Verknüpfung – denn am nächsten Abend wird ein anderer Vater-Sohn-Konflikt ausgefochten – gehört zu Unidram. Nach und entsteht bei Jenen, die sich die meisten der zwölf verschiedenen Vorstellungen an den fünf Tagen anschauen, ein geheimnisvolles Band zwischen diesen. Denn die sehr unterschiedlichen Inszenierungen beginnen, miteinander zu korrespondieren und daraus kann sich bis zum Schluss ein ganz anderes, neues Gewebe spinnen.
Genauso wie in "Artica", wo in der eisigen Hütte die Fäden aus Mänteln aus aller Welt zusammenlaufen und die Darsteller*innen um Sergi Ots freundlich, ernsthaft und emsig dran arbeiten, einen neuen wärmenden Mantel (aus Lebensgeschichten) entstehen zu lassen. Berührt und glücklich zugleich, wer dies ganz unmittelbar erleben und (s)ein Stück (Lebens- und Erinnerungs-) Faden dazu beitragen durfte!
Astrid Priebs-Tröger