Keine Zeit für Träume
Da ist sie wieder: Franziska Linkerhand, eine der so starken und zerrissenen Figuren der DDR-Frauenliteratur. Symbol einer jungen Nachkriegsgeneration, die sich anschickte, die stalinistischen Verkrustungen aufzubrechen.
Einen 620-Seiten Roman auf anderthalb Stunden zu schrumpfen, ist eine Leistung an sich. Das Theater Poetenpack hat sich im Jahr der Brandenburger Baukultur dieser Herausforderung angenommen und brachte "Franziska Linkerhand" nach dem Roman von Brigitte Reimann zur Premiere. Die Bühnenfassung und die Regie lagen in den Händen von Gislén Engelmann.
Im Mittelpunkt der Handlung steht eine junge Architektin (Marianna Linden), die anstatt an hauptstädtischen Prestigeprojekten ihres Professors mitzuarbeiten, lieber in die sozialistische Provinz der 1960er Jahre geht, um ihren Traum von menschenfreundlicher Architektur – der Verbindung von sozialem Wohnungsbau mit lebenswerten soziokulturellen Zentren – umzusetzen.
Im Roman, wie auch in der wie ein Hörspiel-Essay anmutenden Bühnenfassung, trifft sie dabei auf einige Widerstände und verschiedene Männer. Peter Wagner verkörpert sowohl ihren bewunderten großen Bruder, als auch den Geliebten Ben (alias Trojanowicz) sowie ihren Kollegen Jazwauk. André Kudella ist ihr Ex-Mann und väterlicher Vorgesetzter, der sich in die junge Frau verliebt, und seiner zur Routine gewordenen Ehe entfliehen will.
Diese Beziehungsgeschichten nehmen in der Poetenpack-Theaterfassung einen größeren Raum ein als die Widerstände, die Franziska – die hier oft Franz genannt wird – beim Umsetzen ihrer Wohnungsbauvision in die Quere kommen. Letztere werden nur behauptet, immer wieder ist vom Verschieben (wegen Geld- bzw. Materialmangels) die Rede, und auch der Generationenkonflikt, die unterschiedlichen Bauauffassungen sowie Klassenstandpunkte – ja, so hieß das damals – werden nur angerissen.
Mit raschen Strichen und zumeist ironischem Unterton wird also ein vielschichtiges Panorama von Arbeits- und Lebensauffassungen entworfen und in Dutzenden kurzen Szenen, in denen beiden männlichen Protagonisten einige Wandlungsfähigkeit abverlangt wird, skizziert. Das Ganze hat ein hohes Tempo und eine flexible Ausstattung – ein Büro mit einem rollenden Zeichentisch und roten Holzdrehstühlen – die alles mitmacht. Es ist sowohl Arbeitsraum als auch Ledigenwohnheim, geht durch als Kino oder Bar und mittels einer großen Projektionsfläche wird es auch zum Flughafen oder Kornfeld.
Da ist den Theaterleuten einiges eingefallen, um die epische Breite des Romans für die Bühne zu übersetzen. Doch es gibt etwas, was aufgesetzt und zudem sehr verkürzend wirkt. Mehrmals werden aktuelle Radionachrichten eingespielt, die von den gegenwärtigen Problemen beim Wohnungsbau (in der BRD fehlen 700.000 Sozialwohnungen) oder vom Ukraine-Krieg und steigenden Zinsen berichten.
So eine Gleichsetzung der Probleme eines sozialistischen Staates – in der DDR war das Grundrecht auf Wohnen seit 1968 in der Verfassung verankert – mit den gegenwärtigen Herausforderungen des sozialen Wohnungsbaus ist schlichtweg falsch. Denn die heutigen Probleme haben grundsätzlich andere Ursachen als die damaligen, auch wenn beide mit Geldmangel etikettiert werden.
"Franziska Linkerhand" ist die erste Premiere des Poetenpacks, das sich 2023 mit dem Thema "Macht und Ohnmacht" auseinandersetzen will. Marianna Linden verkörpert "Franz" als eine lebenslustige, schlagfertige und enthusiastische Frau, die nicht bereit ist, ihre Träume aufzugeben. Allerdings werden sie von der Realität und den Männern erheblich zurechtgestutzt. Grund genug, das Original aus dem Regal zu nehmen und nach 50 Jahren seit seiner Entstehung erneut zu lesen.
Astrid Priebs-Tröger