Sicherheit versus Freiheit

Die­ses Buch habe ich erwar­tet und gefürch­tet zugleich. Erwar­tet, weil ich seit 30 Jah­ren mein Leben als "Ossi" in die­sem "neu­en" Deutsch­land reflek­tie­re. Und neu­lich von jeman­dem gesagt bekam, "ich wäre bit­ter" und im glei­chen Atem­zug "wann das mit 'Ost' und 'West' end­lich ein Ende hätte".

Noch tage­lang nach die­sem Gespräch lief ich mit gro­ßer Wut umher. Mir war nicht zum ers­ten Mal auf­ge­fal­len, dass vor allem "Wes­sis" danach ver­lan­gen, "die Ost-West-Dif­fe­ren­zen, die ja gar kei­ne sei­en, end­lich bei­zu­le­gen". Ich hat­te in besag­tem Gespräch ent­geg­net, "dass wir end­lich wirk­lich über den Osten reden müssten."

Und das tut Dirk Osch­mann, der Pro­fes­sor für Neue­re Deut­sche Lite­ra­tur an der Uni­ver­si­tät Leip­zig ist, in sei­nem Buch "Der Osten: eine west­deut­sche Erfin­dung" aus­drück­lich. Und er ist nicht der Ers­te. Es gibt die Bücher von Stef­fen Mau über das Leben in der ost­deut­schen Trans­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft und es gab vor eini­gen Jah­ren die Dis­kus­si­on über den Begriff der Sozio­lo­gin Nai­ka Forou­tan, die pos­tu­lier­te, dass sich Ost­deut­sche wie Migran­ten im eige­nen Land füh­len. Die­se Beschrei­bung trig­ger­te eige­ne unter­drück­te Emp­fin­dun­gen in mir an.

Wahr­schein­lich, weil ich an der glei­chen Uni (frü­her: Karl Marx Uni­ver­si­tät Leip­zig), an der Osch­mann heu­te lehrt, eben­falls Ger­ma­nis­tik von 1981 bis ´86 mit Sum­ma-cum-lau­de-Diplom stu­dier­te, woll­te ich sein Buch lesen. Und der Ost-Pro­fes­sor – einer der weni­gen aus mei­ner Gene­ra­ti­on – hielt mir schwarz auf weiß vor Augen, was ich selbst immer wie­der verdrängte.

Ich konn­te mit (m)einem Ger­ma­nis­tik­stu­di­um in die­sem wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land nichts wer­den. Ein sehr umfas­sen­der Eli­ten­aus­tausch – vor allem in den Geis­tes­wis­sen­schaf­ten – fand statt und ver­hin­der­te dies. Auch keine:r meine:r Kommilliton:innen erreich­te dies. Obwohl meh­re­re von ihnen bis zum Ende der DDR noch erfolg­reich promovierten.

Ich selbst hat­te auch eine Pro­mo­ti­ons­stel­le an der Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­le in Dres­den, ich ent­schloss mich jedoch, 1988 ans Thea­ter zu wech­seln, weil mir damals die "Volks­bil­dung" als end­gül­ti­ge Berufs­per­spek­ti­ve droh­te. Ich konn­te nicht ahnen, dass dies bereits ein Jahr spä­ter obso­let sein würde.

Ich stürz­te mich also ins Thea­ter­le­ben, und fühl­te mich dort rich­ti­ger, doch kaum hat­te der Eiser­ne Vor­hang die ers­ten Löcher bekom­men, dran­gen west­deut­sche Germanist:innen in den jetzt unge­heu­er span­nen­den Osten vor – und die­se hat­ten außer Ger­ma­nis­tik noch zwei oder drei ande­re Fächer studiert.

Sie hat­ten außer­dem die (west­li­che) Welt gese­hen und spra­chen neben Eng­lisch auch noch ganz pas­sa­bel Fran­zö­sisch. Und von nun an war das, was wir ein­zu­brin­gen hat­ten, z. B. DDR-Lite­ra­tur oder Rus­sisch, über­haupt nicht mehr gefragt. Doch Jah­re spä­ter frag­ten mich aus­ge­rech­net west­deut­sche Frau­en mit leuch­ten­den Augen, ob ich denn Eva Stritt­mat­ter kenne.

Auch die Thea­ter­lei­tun­gen wech­sel­ten ziem­lich bald in west­deut­sche Hän­de; in Mei­nin­gen über­nahm ein soge­nann­ter "Wos­si" – Ulrich Burk­hardt, der frü­her in den Wes­ten gegan­gen und jetzt zurück­ge­kom­men war – das Ruder.

Ich ergriff die Flucht nach Pots­dam, wo inzwi­schen mein "West"-Mann arbei­te­te, grün­de­te mit ihm eine Fami­lie und über­nahm  bis Mit­te der 90er Jah­re noch eini­ge freie Dra­ma­tur­gie-Arbei­ten. Doch eine (wirt­schaft­li­che) Per­spek­ti­ve bot das nicht. Ich hat­te das Gefühl, ich müss­te in die­sen wil­den 1990er Jah­ren Geld mit­brin­gen, um frei am Thea­ter arbei­ten zu können.

Und das konn­ten nur jun­ge Wes­sis mit finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung ihrer gut­be­tuch­ten Eltern. Nach mei­nem Erzie­hungs­ur­laub stell­te ich mich resi­gniert dem Arbeits­markt zur Ver­fü­gung. Der kei­ne Ver­wen­dung, sprich: Ver­wer­tung für mich hat­te. Ich absol­vier­te eine PR-Aus­bil­dung, die mir letzt­end­lich auch nichts nutzte.

Danach lan­de­te ich im sozia­len Bereich, wo mir zum ers­ten Mal gesagt wur­de (von Ossis), dass mein Stu­di­um nichts wert sei. Ich ließ mich über­re­den, berufs­be­glei­tend Sozia­le Arbeit zu stu­die­ren. Nach dem Weg­spa­ren mei­ner (SAM-)Arbeitsstelle war ich jedoch froh, dies nicht mehr wei­ter tun zu müs­sen. Denn so ein Klipp­schul-Niveau an einer Hoch­schu­le und so viel Indok­tri­na­ti­on (Anfang der 2000er) hat­te ich nicht erwartet.

Als die Schrö­der-Regie­rung 2005 die Hartz-IV-Rege­lun­gen ein­führ­te, trat ich fast 20 Jah­re nach mei­nem DDR-Diplom die Flucht nach vorn an. Ich woll­te und muss­te etwas mit mei­nem ursprüng­li­chen Stu­di­um tun – ich ging in die Frei­be­ruf­lich­keit und arbei­te jetzt seit 18 Jah­ren als Jour­na­lis­tin, Lek­to­rin und Dramaturgin.

Das fühlt sich bis heu­te rich­tig an, obwohl ich auch hier "nichts gewor­den bin".  Ich schrieb mir für´ n Appel und ´nen Ei bei einem Able­ger des Tages­spie­gel die Fin­ger wund – die Sche­re im Kopf war/ist oft grö­ßer als sie es bei mir zu DDR-Zei­ten über­haupt sein konn­te. Die Coro­na­zeit hat dies alles unmit­tel­bar sicht­bar gemacht.

Und jetzt lese ich Osch­manns Buch und bin wütend und trau­rig zugleich. Zeigt es doch an vie­len Bei­spie­len, wie die­ses Deutsch­land und die­ses neo­ko­lo­nia­le Sys­tem ticken und wie sich der Osten nach 1989 (auch) sei­nen eige­nen Schneid und sei­ne kur­ze geis­ti­ge Unab­hän­gig­keit hat abkau­fen lassen.

Osch­mann wun­dert sich, dass in den bun­des­deut­schen Medi­en gera­de Sach­sen so her­ab­ge­wür­digt wird. Mich wun­dert das über­haupt nicht, gin­gen die (Montags-)Demonstrationen doch gera­de von Leip­zig und von Dres­den aus; der Rest der Repu­blik hat sich erst ange­schlos­sen, als zu sehen war, dass der Mas­sen­auf­stand end­lich wirk­lich etwas bewir­ken würde.

Das Blö­de war nur (und inso­fern kann man nicht von Revo­lu­ti­on spre­chen), dass dann wenig spä­ter oft­mals die glei­chen Men­schen Anfang 1990 in Dres­den Hel­mut Kohl begeis­tert zuge­ju­belt  und damit der "deut­schen Ein­heit" den Weg (mit-)bereitet haben.

Astrid Priebs-Trö­ger

09. April 2023 von Textur-Buero
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