Kleinstadt-Psychogramm
Zugegeben, ein wenig reißerisch klingt der Titel von Manja Präkels Debütroman "Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß" schon. Doch die 1974 im brandenburgischen Zehdenick geborene Journalistin und Musikerin kehrt mit ihm in die Vor- und Nachwendezeit ihrer Geburtsstadt zurück und zeichnet pointiert das Psychogramm einer Kleinstadt, wie es so viele im Osten gab und gibt.
Und gerade jetzt, seit 2015 viele geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen und kommen, und der rechte Mob dagegen demonstriert oder sogar Flüchtlingsheime anzündet, ist man froh, dass Autoren wie Präkels verstärkt ihr Brennglas auf die (ost-)deutsche Provinz richten und nach Ursachen und Erklärungen für diese Entwicklungen suchen.
Brennglas auf die ostdeutsche Provinz gerichtet
Manja Präkels, die zu ihrer Lesung auf dem Potsdamer Theaterschiff vom Bassisten Benjamin Hiesinger und dem Klarinettisten Thorsten Müller von ihrer Band "Der singende Tresen" begleitet wurde, begann pointiert mit Kindheitserinnerungen. Sie erzählt liebevoll-ironisch von den "ewigen" Geburtstagsfeiern in Familie und Nachbarschaft. Und schon hier wird deutlich, dass in der Kleinstadt eine gewisse geistige und emotionale Enge herrscht und sowohl zu den Festivitäten als auch im Alltag der Alkohol in Strömen floss.
Und sich selbst die Kinder und Jugendlichen von den Erwachsenen unbeobachtet heimlich mit Schnapskirschen vollstopften. Damals, als der charismatische Nachbarsjunge Oliver und noch nicht "Hitler" hieß. Sensibel spürt Präkels, die nach Jahren als Lokalreporterin später in Berlin Philosophie und Soziologie studierte, den sozialen und mentalen Zusammenhängen in ihrer Umgebung nach.
Klar abgegrenztes Oben und Unten
Sie zeichnet ein klar voneinander abgegrenztes Oben und Unten, das sich in der Vorwendezeit aus den sogenannten Kaderfamilien auf der einen und denen, die dagegen (still) opponierten auf der anderen Seite zusammensetzte. Und sie zeigt auch immer wieder die, die in zerrütteten sozialen Verhältnissen – wie z. B. Kinderreichtum gepaart mit Alkoholismus – wütend und/oder resigniert am Rande der (Kleinstadt-)Gesellschaft lebten.
Diese vorher "klaren" Verhältnisse werden im ideologischen und zeitweise machtpolitischen Vakuum der Wendezeit kräftig aufgemischt und gerade unter den Jugendlichen buchstäblich vom Kopf auf die Füße gestellt. Die, die früher die Klappe hielten und gegenüber dem staatlich verordneten Antifaschismus nur subtil aufbegehrten, schwingen jetzt das große Wort und ergießen die braune Ideologie, die im Osten wie im Westen von kriegsteilnehmenden "Großvätern" auf kleiner Flamme am Leben erhalten wurde, bis in die Mitte der Kleinstadtgesellschaft.
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch Teil der DDR-Gesellschaft
Gewalt gegen anders Denkende, Aussehende, Gläubige bricht sich nun eruptiv Bahn und wird Anfang der 90er Jahre zeitweise "salonfähig". Doch Präkels zeigt auch, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bereits Teil der DDR-Gesellschaft waren und unter dem "roten" Teppich nur lange, scheinbar unbeachtet still vor sich hin moderten.
Ihre pointierten und prägnanten Texte und die einfühlsame Musik ergänzten sich in der Lesung kongenial und ließen die beklemmende Atmosphäre der Nachwendezeit aufleben, und dadurch jetzt, fast 30 Jahre später, den immer wieder aufflammenden Hass in Sachsen zumindest teilweise nachfühlbar werden.
Astrid Priebs-Tröger