Kompromisslos anders

Die­sen König wird man nicht so schnell ver­ges­sen. Wie er da jugend­lich leicht­sin­nig (s)einen Mann liebt und schließ­lich nach zer­mür­ben­den Kriegs­jah­ren und des ein­zi­gen Freun­des gewalt­sa­men Todes selbst buch­stäb­lich in der Gos­se lan­det – das hat­te For­mat. Genau­so wie sei­ne stand­haf­te Wei­ge­rung, der eng­li­schen Kro­ne zu Leb­zei­ten zu entsagen.

Das Brecht-Stück "Leben Edu­ards des Zwei­ten von Eng­land", das in der Insze­nie­rung des Neu­en Glo­be Thea­ters unter der Regie von Kai Fre­de­ric Schri­ckel im T‑Werk zur Pre­mie­re kam, ist ein viel­schich­ti­ger Ideen­stein­bruch. Von Homo­se­xua­li­tät und Homo­pho­bie, Macht, Intri­gen und ver­ra­te­ner Lie­be, Oppor­tu­nis­mus, (männ­li­chen) Geschlech­ter­rol­len, Indi­vi­dua­li­tät,  Kon­for­mis­mus, Täter/Opfer sein, bis hin zu Stand­haf­tig­keit und Nein sagen, kam Vie­les dar­in vor.

Edu­ard und Gaveston/Foto: Neu­es Glo­be Theater

Homosexualität für Brecht nicht "wichtig"

Wobei die offen aus­ge­leb­te Homo­se­xua­li­tät des Königs zwar ein deut­lich sicht­ba­res Zei­chen ist, an dem sich der thea­tra­li­sche Kon­flikt ent­fal­tet, doch für Brecht selbst war sie wohl nicht "wich­tig", wie dem Gespräch mit B. K. Trage­lehn zu ent­neh­men war, das der Dra­ma­turg Falk Streh­low mit dem ehe­ma­li­gen Meis­ter­schü­ler führ­te und das im opu­len­ten Pro­gramm­heft nach­zu­le­sen ist.

In der Insze­nie­rung des Neu­en Glo­be wird sie anfangs aus­ge­stellt mit gol­de­nen sexy Män­ner­slips und gleich zu Beginn mit einer unge­stü­men Bett­sze­ne, die dann größ­ten­teils doch unter dem Laken ver­schwin­det. Dort küs­sen sich zwei jun­ge, gut aus­se­hen­de männ­li­che Men­schen. Und, das sieht und spürt man im wei­te­ren Ver­lauf, sie sind sich wirk­lich zugetan.

Das ist wohl­tu­end und zum Glück wenig manie­ris­tisch, weil es heut­zu­ta­ge, zumin­dest in bestimm­ten Krei­sen nor­mal ist, Homo­se­xua­li­tät offen zu leben. Doch es gibt nach wie vor gro­ße Unter­schie­de zwi­schen Stadt und Land und unter­schied­li­chen sozia­len Milieus. König Edu­ard der Zwei­te fei­ert schon vor 700 Jah­ren die­se, sei­ne  Lie­be. Für ihn ist sie das Nor­mals­te von der Welt, doch sein Umfeld und die recht­mä­ßi­ge Ehe­frau sind dage­gen. Und ver­su­chen mit allen Mit­teln, die "natür­li­che" Ord­nung wiederherzustellen.

Bett­sze­ne, Foto: Neu­es Glo­be Theater

Beim Neu­en Glo­be geht dies wie gewohnt über­spitzt, mal derb, mal zart, komisch und ernst, laut und lei­se  und zumeist unter­halt­sam über die Büh­ne.  Doch lei­der mit viel zu vie­len Wor­ten, denen man  mehr als zwei­ein­halb Stun­den lang in einem hoch­som­mer­lich auf­ge­heiz­ten Thea­ter­saal lausch­te – nach ver­spä­te­tem Beginn wegen einer tech­ni­schen Panne.

Anstel­le eines Büh­nen­bil­des gibt es einen sehr funk­tio­na­len Büh­nen­bau, für den wie für die Kos­tü­me Han­nah Ham­bur­ger ver­ant­wort­lich zeich­net:  ein gro­ßes recht­ecki­ges Podest – das Bett,  Thron, Kloa­ke, Gal­gen und Tower zugleich ist. Von den vier  Mikro­fo­nen  in den Ecken wird kom­men­tiert, gebeat­boxt und geflir­tet, was das Zeug hält. Und die episch brei­te Geschich­te, die  einen lan­gen Zeit­raum von fast zwan­zig Jah­ren umfasst, mit zwei roten Trom­meln, E‑Gitarre und Gesang  effekt­voll atmo­sphä­risch untermalt.

"Starker" König mit Format

Auf der Büh­ne gibt es eini­ge star­ke Bil­der, wie die anfäng­li­che Lie­bes­ze­ne, die nicht zustan­de kom­men­de Ména­ge-à- trois zwi­schen Edu­ard, Köni­gin Anna und Gaves­ton, die Tötung des könig­li­chen Lieb­ha­bers und das elen­de Ster­ben des Königs.

Der anfangs jugend­lich leicht­sin­nig, lebens­froh und kom­pro­miss­los von Lau­renz Wie­gand ver­kör­pert wird und im Ver­lauf der Hand­lung  unter kör­per­li­chen Qua­len die größ­te äuße­re Wand­lung und inne­re Ent­wick­lung vollzieht.

Ména­ge-à- trois, Foto: Neu­es Glo­be Theater

Dass Ver­än­de­rung gut­tut, ist auch an meh­re­ren schau­spie­le­ri­schen Neu­zu­gän­gen beim Neu­en Glo­be zu spü­ren. Mark Har­vey Müh­le­mann gibt den Lieb­ha­ber Gaves­ton – sehr ero­tisch, naiv und wis­send zugleich – und unge­mein berüh­rend in der könig­li­chen Ster­be­sze­ne. Mag­da­le­na Thal­mann ver­kör­pert die Anna, die wohl schwie­rigs­te Rol­le des Abends. Da hät­te man sich von der Regie noch mehr Dif­fe­ren­zie­run­gen gewünscht und auch, dass die ver­zwei­fel­te Ehe­bre­che­rin mit schwar­zen Des­sous nicht so vor­der­grün­dig sexu­ell auf­ge­la­den wird.

Der Mor­ti­mer von Maxim Agné ist schon äußer­lich ein ath­le­ti­sches (Gegen-)Bild von einem tat­kräf­ti­gen und ent­schlos­se­nen Mann, der die "natür­li­che" Ord­nung wie­der­her­stel­len will. Da er wegen eines Motor­rad­un­falls an Krü­cken geht, gibt das der Figur eine gewis­se Brü­chig­keit, die ihr guttut.

Kompromisslos anders sein

Mari­us Mik ver­kör­pert den Sohn König Edu­ards und den Erzäh­ler mit E‑Gitarre – er läuft vor allem im letz­ten Drit­tel zu Höchst­leis­tun­gen auf: zer­ris­sen zwi­schen sei­nen strei­ten­den Eltern, dem Ehe­bruch der Mut­ter und eige­ner Krö­nung, wird von einem Moment zum ande­ren vom ver­letz­li­chen Kind zum har­ten Mann. In dem aber, und das ist schön, ein Teil des Erbes sei­nes Vaters fort­lebt. Zum über­aus spiel­freu­di­gen Ensem­ble gehö­ren außer­dem Alex­an­der Jaschik und Andre­as Erfurth, die ihre zahl­rei­chen Rol­len­wech­sel fle­xi­bel hinkriegen.

Und die die­se Edu­ard­sche Hal­tung des kom­pro­miss­lo­sen Anders­seins, die auch Brecht zur Ent­ste­hungs­zeit des Stü­ckes in den 1920er Jah­ren inter­es­sier­te, gemein­sam glaub­haft über die Ram­pe bringen.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die­ser Arti­kel erschien zuerst in den Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten vom 15. Juni 2019

 

17. Juni 2019 von Textur-Buero
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