Kopf an Kopf
Wer Kinder oder Enkel hat, weiß es: Es macht einen Riesenspaß, mit ihnen die Welt und ihre Geheimnisse zu entdecken. Das kann man beim gemeinsamen Spielen, in Gesprächen oder beim Vorlesen von Kinderbüchern. Letzteres funktioniert am besten, wenn man die Köpfe eng zusammensteckt und die Lektüre beide fesselt.
Ganz genau so war es in der fabrik Potsdam, wo das erste Tanzfestival für Kinder mit dem eingängigen Namen "Zig Zag" aus der Taufe gehoben wurde. Und die belgische Produktion "Têtes à têtes" von Maria Clara Villa Lobos, wörtlich übersetzt: "Kopf an Kopf", ihre Deutschlandpremiere feierte.
Wie in einem riesigen interaktiven Kinderbuch wurde die Geschichte von der Entstehung der Menschen auf der weißen dreidimensionalen Bühne erzählt. Im Schnelldurchlauf und mit den nötigen Vereinfachungen für Kinder, die erst vier Jahre alt sind, versteht sich. Sterne, UFOs, bunte Flugobjekte, sogar Turnschuhe und Konservendosen segelten da quirlig durchs weite All.
Hier kann man auf Youtube hineinschauen: https://www.youtube.com/
Mit farbigen Animationen ging es von dort ruckzuck auf die grüne Erde. Zu "Adam" und "Eva" und mitten in ein tiefes "schwarzes Loch". Unter Lustgeräuschen und mit durchs Bild schwim-menden Spermien fand gleich darauf die Menschentstehung statt: ein überdimensionierter Pappmaché-Kopf auf einem verhältnis- mäßig kleinen Leib nistete sich auf der Bühne respektive in einer Bauchhöhle ein.
Das war der Beginn menschlichen Lebens und zugleich die Verknüpfung der filmischen Animationen mit realen tänzerischen Aktionen auf der Bühne, die in dieser Produktion eine kongeniale Synthese eingingen. Großartig, wie dieser großkopfige Embryo seine ersten Bewe- gungen vollführt. Sein weiteres Eintreten in die Welt vollzieht sich, indem er seine Pappmaché-Fäuste verliert und mit zehn beweglichen Fingern alles um sich herum zu begreifen lernt.
Was für eine schöne Idee! Dann ist der/die Kleine erst einmal allein. Eine Mutter oder einen Vater hat Maria Clara Villa Lobos, die auch eine der beiden Figuren selbst tanzt, ausgespart. Stattdessen bewegt sich ein langer (Animations-)Faden auf den/die Kleine/n zu und spinnt ihn ein: mit schönen Gedanken an ein Eis und auch mit Alpträumen in der Nacht.
Bis, ja bis eines Tages ein weiterer großer Kopf beziehungsweise zuerst ein Leib ohne Kopf auf der Bühne des Lebens erscheint. Der wird von Antonio Montanile bewegt und das Alleinsein hat ein Ende. Gegenseitig betasten und beschnuppern sie sich – wie im richtigen Leben auch – und testen spielerisch und tänzerisch eigene und fremde Grenzen aus.
Beide scheinen sich auf Anhieb zu mögen, denn ihr erstes Têtes à têtes ist ein gemeinsames Picknick auf einer grünen Wiese. Doch anstatt die Blüten, Äpfel, Birnen, Paprika, Bananen und Fische, die sie abwechselnd aus ihren Riesenköpfen ziehen, gemeinsam zu verspeisen, pappen sie sich diese gegenseitig und mit viel Spaß an ihre bis dahin gesichts- und geschlechtslosen Körper. Und auf einmal kann jedes Kind im Theatersaal sehen, was Frauen und Männer – zumindest äußerlich – unterscheidet.
Hierin folgt die fantasievolle Inszenierung ganz dem kindlichen Erkennen von Welt. Denn Kinder zeichnen zwischen zwei und drei Jahren vor allem riesige Köpfe, um sich selbst und andere darzustellen. Gesichter, sekundäre Geschlechtsmerkmale und andere Differenzie- rungen folgen erst viel später.
Und so zeigt dieses poetische Tanzstück "Kopf an Kopf", gerade auch für erwachsene Zuschauer, wie "einfach" und "gleich" wir selbst und der Umgang miteinander sein könnten. Und das ist ein großer Gewinn in einer bis ins Kleinste ausdifferenzierten Welt!
Astrid Priebs-Tröger
http://www.lapetiteusine.org/mc-villalobos.com/