Rauchsauna-Schwesternschaft
Über das Frausein wird hier und heute oft geredet. Doch selten passiert das so sinnlich, archaisch, berührend und verstörend zugleich wie in dem estnischen Dokumentarfilm "Smoke Sauna Sisterhood", der 2023 ins Kino kam.
In ihm begleitet die feministische Regisseurin Anna Hints ein halbes Dutzend Frauen, die über den ganzen Jahreszyklus lang eine estnische Rauchsauna – die übrigens zum UNESCO-Weltkulterbe zählt – regelmäßig besuchen. Hints hat die Saunierenden, wie sie selbst sagt, insgesamt sieben Jahre lang begleitet.
Diese urige Holzhütte im Wald wird von einer von ihnen beheizt, die anderen schneiden Birkenzweige oder Löcher in die Eisdecke des nahe gelegenen Sees. Und dann steigen sie gemeinsam nackt in die rauchige, warme Dunkelheit des Saunaraums.
Um hier in wohliger Wärme und zwischen nebligen Schwaden in die Tiefen ihrer weiblichen Seelen zu tauchen. Ihre Expedition beginnt mit den noch immer allgegenwärtigen gesellschaftlichen Körper- und Schönheitsnormativen für Mädchen und Frauen und endet schließlich mit nackter männlicher Gewalt.
Die Frauen, die schätzungsweise zwischen 30 und 50 Jahre alt sind, erzählen keine stringenten Geschichten, sondern konzentrierte Puzzleteile aus fast vier Genrationen von Frauenleben.
Denn sie berichten von ihren Großmüttern und Müttern, von ihren eigenen Erfahrungen und wagen auch einen Ausblick auf das Leben ihrer (Enkel-)Töchter. So entsteht aus vielen individuellen Einzelteilen ein gesellschaftliches Panorama von Frauenleben, das beinahe ein ganzes Jahrhundert umfasst.
Und dass eine/n immer intensiver in seinen Bann zieht. Denn dieses Erzählen folgt zwar einer Dramaturgie von außen in ein immer intimeres Inneres, aber man wird nie zur Voyeurin. Auch deshalb nicht, weil die nackten Frauen nur im schützenden Halbdunkel sprechen und ihre Körper und die dazugehörigen Geschichten nicht eindeutig zuzuordnen sind.
In diese Rauchsauna-Schwesterschaft wird man als Zuschauerin in den neunzig Minuten immer mehr hineingezogen. Sodass man sich solche Räume, in denen Frauen regelmäßig so intim zusammenkommen, auch hierzulande wünscht. Großartig ist auch die Abwesenheit jedweden Konkurrenzgebarens, wie es in anderen weiblichen Zusammenhängen immer wieder zu erleben ist/vorgeführt wird.
Und immer wieder spürt man im Film die Kraft und die Bindung an eine uralte Tradition, denn in der estnischen Sauna wurden früher sowohl Kinder geboren als auch die Toten gewaschen. Beides sind traditionelle weibliche Tätigkeiten.
Und so bildet auch eine bildliche Beschwörung dieser Tradition den Rahmen des Films, der am Anfang eine Mutter mit Baby und ihrer Aufforderung "Werde kräftig, werde stark" zeigt und zum Ende hin den dunkel-erdigen Gesang der schwitzenden Frauen ertönen lässt und sie auffordert, hier alle Schmerzen loszulassen. Dass dies punktuell gelingen kann, zeigen danach die unbeschwerten Szenen des Badens im jetzt sommerlich warmen See.
Summa summarum: Wunderbar sinnlich. Unbedingt sehenswert.
Astrid Priebs-Tröger