Raum für Unsagbares

Ein Kind zu ver­lie­ren ist das Schlimms­te, was Eltern pas­sie­ren kann. In "We still have words" reflek­tie­ren der mus­li­mi­sche Laden­be­sit­zer Azdyn­de Ami­mour und der Arzt mit christ­li­chen Wur­zeln Geor­ges Sali­nes, wie es sich anfühlt, Väter von Bata­clan-Atten­tä­tern bezie­hungs­wei­se –Opfern zu sein.

Am 13. Novem­ber 2015 ver­üb­ten drei Ter­ro­ris­ten des soge­nann­ten "Isla­mi­schen Staa­tes" einen Anschlag auf den Pari­ser Kon­zert­saal und töte­ten dabei 90 Menschen.

Was uns bleibt, sind die Wor­te, Foto: Ste­fan Gloede

Das Thea­ter­schiff Pots­dam hat in sei­ner 2022 gestar­te­ten Rei­he "Unzähm­bar – Thea­ter & Kon­zert für den Frie­den" jetzt die­ses Buch der bei­den ver­wais­ten Väter als Grund­la­ge genom­men und dar­aus ein über­aus berüh­ren­des For­mat aus Welt­mu­sik­kon­zert und Thea­ter­col­la­ge ent­wi­ckelt, das Anfang März in der Fran­zö­si­schen Kir­che zur Pre­mie­re kam.

Das Kon­zert, das eine qua­si kom­men­tie­ren­de Funk­ti­on hat,  bestrei­ten die exzel­len­ten Lac­ca­sax-Musi­ker Andrej Lak­is­ov, Timo­fey Sat­ta­rov und Bernd Gesell, die mit "Remi­nis­cence" von Astor Piaz­zolla den erschüt­tern­den und zugleich posi­ti­ven Abend eröff­nen. Denn die Musik sagt – wie auch Bil­der – mehr als tau­send Worte.

Was uns bleibt, sind die Wor­te, Foto: Ste­fan Gloede

Schon mit dem inner­lich zer­ris­se­nen Ein­gangs­tan­go wird emo­tio­nal auf das ein­ge­stimmt, was die bei­den Väter in den kom­men­den zwei Stun­den berich­ten wer­den und was immer wie­der ein Wech­sel­bad der Gefüh­le aus­löst. Die Musi­ker sind die gan­ze Zeit auf der Büh­ne, die Schauspieler:innen kom­men mehr­mals aus unter­schied­li­chen Rich­tun­gen des run­den Kir­chen­raums dazu.

Ein wirk­li­cher Glücks­griff der Bam­ber­ger Regis­seu­rin  Nina Lorenz ist es,  den Vater des Atten­tä­ters Samy Ami­mour mit einer Frau, der Schau­spie­le­rin Lari­sa T. Papizh zu beset­zen, die hier in den schwie­ri­gen und unge­mein muti­gen Dia­log  mit dem Vater des Opfers Lola Sali­nes (Valen­tin Bartzsch) geht.

Die­ses männ­lich-weib­li­che Zwie­ge­spräch gibt der viel­schich­ti­gen Text­col­la­ge eine noch uni­ver­sel­le­re Dimen­si­on. Zu bei­den Eltern­tei­len gesell­te sich noch Johan­na Kne­fel­kamp, die immer wie­der – wie ein Schat­ten –  die bei­den ver­lo­re­nen Kin­der ver­kör­pert und mal wie eine Last an einem der Väter hängt oder mit dem ande­ren ring­kampf­mä­ßig tanzt.

Was uns bleibt, sind die Wor­te, Foto: Ste­fan Gloede

Wenn bei­de nicht gera­de ihren inten­si­ven Dia­log über Täter und Opfer, Schuld und Ver­sa­gen, Hass und Trau­er schnör­kel­los, nahe­zu doku­men­ta­risch füh­ren. Und trotz ihrer vie­len Wor­te nur einen Teil ihrer/unserer Emo­tio­nen aus­drü­cken kön­nen.  Sind sie ver­stummt, über­neh­men die wun­der­bar sen­si­blen und zugleich dyna­mi­schen Lac­ca­sax-Musi­ker und brin­gen die unter­drück­ten Gefüh­le  zum Aus­druck bezie­hungs­wei­se ins Fließen.

Zum Glück ist dann nach etwa 90 Minu­ten neben Schmerz, Wut und Trau­er auch wie­der spie­le­ri­sche Lebens­freu­de mög­lich, wenn Andrej Lak­is­ov Bar­ry Cock­rofts "Kuku" inter­pre­tiert. Ansons­ten stam­men die meis­ten ande­ren Kom­po­si­tio­nen des enga­gier­ten Pro­gramms von Timo­fey Sattarov.

Und am Ende erscheint, wie auch schon in den vor­he­ri­gen Fol­gen der "Unbezähmbar"-Reihe, dies­mal ganz in schwarz, der mys­ti­sche Sän­ger Gen­na­dy Tka­chen­ko Papizh und öff­net mit sei­nem unver­gleich­lich magi­schen Gesang gemein­sam mit dem Bas­sis­ten Bernd Gesell einen fast hei­lig zu nen­nen­den Seelenraum.

Astrid Priebs-Trö­ger

04. März 2024 von Textur-Buero
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