Tanz bis in die Haarspitzen

Der drit­te Abend der Pots­da­mer Tanz­ta­ge war­te­te mit dem bis­her stärks­ten Kon­trast­pro­gramm auf. Wäh­rend das krie­ge­ri­sche Heli­ko­pter­ge­dröhn und die ein­dring­li­chen Kla­ge­ge­sän­ge der vor­her­ge­hen­den Auf­füh­rung von Ali Chah­rour aus Bei­rut noch immer schmerz­haft im eige­nen Kör­per nach­hall­ten, emp­fing einen die Schwei­zer Cho­reo­gra­fin und Tän­ze­rin Yas­mi­ne Hugon­net mit "Le Réci­tal des Pos­tu­res" im T‑Werk in voll­kom­me­ner Stil­le auf einer wei­ßen, lee­ren Bühne.

Ungeheure Präsenz

Hugon­net stand – schon wäh­rend das Publi­kum den Saal betrat – vorn­über­ge­beugt, ihren Hin­tern in grau­en Leg­gings den Zuschau­ern zuge­wandt und ihre halb­lan­gen, offe­nen Haa­re berühr­ten dabei fast den wei­ßen Tanz­bo­den. Es dau­er­te eine gan­ze Wei­le, bis die Schwei­ze­rin über­haupt eine Bewe­gung voll­führ­te. Zeit­lu­pen­haft klapp­te sie sich zusam­men, lan­de­te als kopf­lo­ses Wesen bäuch­lings auf dem Boden und es dau­er­te wie­der­um sei­ne Zeit, bis sich zu den Bewe­gun­gen der Bei­ne auch sol­che der Arme und Hän­de gesell­ten. Nach­ein­an­der ver­steht sich.

Yas­mi­ne Hugon­net inter­es­siert sich in ihrer Arbeit beson­ders für den Begriff der "Prä­senz", stu­dier­te  Butoh und die Laban-Bewe­gungs­ana­ly­se. Ihre Arbeit wur­de von Begeg­nun­gen mit Peter Goss (Dan­se con­tem­po­rai­ne und  Vin­ya­sa Yoga), Odi­le Rou­quet (Recher­che on Mou­ve­ment) und Lisa Nel­son (Tuning Score / Impro­vi­sa­ti­on) geprägt.

Virtuoses Körpertheater

Eine wei­te­re klei­ne Ewig­keit ver­ging, bis end­lich ihr Gesicht, das voll­stän­dig von ihren dunk­len Haa­ren bedeckt wur­de, zu sehen war. Vor­her hat­te sich die 38-Jäh­ri­ge bedäch­tig aus ihrem dunk­len Ober­teil und dem hell­grau­en Jump­su­it geschält. Und ihr nack­ter, makel­lo­ser Kör­per soll­te von nun an ganz unter­schied­li­che "Rol­len" ein­neh­men, die blitz­schnell zwi­schen ver­schie­dens­ten "Figu­ren"  und "Zustän­den" – mensch­lich, tie­risch, pflanz­lich, jung, alt, weib­lich, männ­lich – wech­seln konn­ten. Denn die vir­tuo­se Tän­ze­rin scheint nichts lie­ber zu tun, als mit ihrem Kör­per wie auf einem Instru­ment zu improvisieren.

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Foto: Anne-Lau­re Lechat

Dabei ent­ste­hen unge­wöhn­li­che und nach­wir­ken­de Bil­der bei "Le Réci­tal des Pos­tu­res", die, wenn man die kana­di­sche Insze­nie­rung zur Eröff­nung der dies­jäh­ri­gen Tanz­ta­ge gese­hen hat, manch­mal direkt aus dem Bosch‘ schen  "Gar­ten der Lüs­te" ent­sprun­gen zu sein schie­nen. Zu die­sem Ein­druck tru­gen die oft gegen­sätz­li­chen Bewe­gungs­qua­li­tä­ten und Kör­per­span­nun­gen, die sie ihrem Leib ent­lock­te, bei: Bei­spiel­wei­se ist ihr Kör­per wie ein Klapp­mes­ser zusam­men­ge­fal­tet, doch ihre Hän­de hal­ten die lan­gen Haa­re an den Enden nach vorn bezie­hungs­wei­se in die Höhe gestreckt.

Faszinierendes Spiel mit den eigenen Haaren

Über­haupt die­se Haa­re. Noch nie war so ein absichts- und fan­ta­sie­vol­les Spiel gera­de damit zu sehen. Sie sind bei Hugon­net nicht bloß Kopf­schmuck, son­dern Werk­zeug, das benutzt wird, um damit eige­ne Stim­mun­gen zu erzeu­gen. Man fühl­te sich an den Aus­spruch – sich am eige­nen Schop­fe aus dem Sumpf zu zie­hen –  erin­nert und war belus­tigt, als sie sich, zusam­men­ge­dreht als Schnurr­bart, über einem/ihrem offe­nen Karp­fen­maul wie­der­fan­den. Buch­stäb­lich auf die Spit­ze trieb sie die­ses wun­der­ba­re Spiel, als sie sie mit­hil­fe ihrer Trink­fla­sche wie einen Spitz­kopf fixierte.

Das Publi­kum folg­te die­ser groß­ar­ti­gen Kör­per­vir­tuo­sin bei­na­he atem­los, was die­se zum Ende hin mit eige­nen hör­ba­ren Atem­zü­gen beant­wor­te­te  und schließ­lich sogar die eige­ne Stim­me ertö­nen ließ. Ohne Lip­pen­be­we­gun­gen – wie eine Bauch­red­ne­rin, denn auch die­se Kunst beherrscht sie  – schäl­te sich auch eine "Bot­schaft" her­aus: Wider­sprich nicht, wir tan­zen uni­so­no! Herr­lich, wie recht sie damit hatte.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die­ser Bei­trag erschien zuerst in den Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten vom 20.05.2017

21. Mai 2017 von admin
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