Theater der Dinge
Ein fensterloses Schlafzimmer und ein kleines thüringisches Dorf waren die Spielorte, die man am zweiten RADAR-Festivaltag besuchen musste, um die Hörspiel-Installation "Gute Nacht" von Pragmata und das dokumentarische Objekttheater "NOR. Vom Kirchturm kann man die Zugspitze sehen" von Josephine Hock zu erleben.
In "Gute Nacht" betrat man, nachdem man seine Schuhe ausgezogen, einen Kopfhörer aufgesetzt und einen frischen Kissenbezug mitgenommen hatte, eben jene etwa sechs Quadratmeter große Kammer und wurde aufgefordert, sich in das bereitstehende Bett zu legen. Wahrscheinlich haben die meisten von uns so etwas noch nie im Theater erlebt oder getan.
Mich erinnerte "Gute Nacht" an Arbeiten der Schweizer Gruppe "Trickster- P", die im September mit "Nettles" bei Unidram zu Gast war. Hier wie dort wurde man allein auf eine Reise ins eigene Innere geschickt, die bei "Gute Nacht" dem ersten Anschein nach zum Einschlummern führen sollte, aber schon aufgrund der Erwartungsspannung – solo in einem fremden halbdunklen Zimmer – natürlich genau das Gegenteil davon bewirkte.
20 Minuten lang wird man dann von Alpha Kartsaki und Sebastian Schlemminger auf eine raffinierte mechanische und klangakustische Weise mit dem Phänomen Schlaflosigkeit konfrontiert. Klasse, dass man solche originellen Arbeiten immer wieder auf Festivals im T‑Werk erleben kann – Wispernde Kissen, tanzende Tabletten und irrlichternde Nachttischlampen natürlich inklusive.
Josephine Hock hingegen umrundet auf Rollschuhen ihr imaginiertes thüringisches Dorf, dessen äußere Gestalt sie mit zahlreichen Notausgangs- und Richtungsschildern auf dem Boden nachgebildet hat. Und schnell wird klar, dass man hier am Ar .. h der Welt gelandet ist und eigentlich nur eines will, nämlich weg.
Doch Josephine Hock, die ihren Heimatort selbst vor wenigen Jahren Richtung Berlin verlassen hat, wagt in "NOR." einen liebevollen Blick zurück. Die Ernst-Busch-Absolventin zeichnet mithilfe von wackelnden Miniaturhunden, im Kreis fahrenden Spielzeugautos oder wippenden Angelruten ein lebenspralles Soziogramm einer ostdeutschen Dorfgemeinschaft. Auch wenn viele von den dort Lebenden nicht mehr lange unter diesen weilen werden.
Sie tut das nicht wie Juli Zeh in ihrem Roman "Unterleuten" aus der Perspektive einer von außen kommenden Fremden, sondern mit dem detaillierten Insiderwissen einer Einheimischen und erinnert darin an Erwin Strittmatter. Schnörkellos und direkt bringt sie die wirtschaftlichen und kulturellen Nachwendeerfahrungen auf den Punkt und spart auch Engstirnigkeit und Ausländerfeindlichkeit der Bewohner*innen nicht aus.
ABER: Sie stellt diese Menschen nicht bloß, sondern zeigt ihr Geworden- und Eingebundensein, den Strukturwandel und stellt sich unter anderem durch den eingestreuten Gebrauch der thüringischen Mundart oder dem kaum enden wollenden Absingen von Weihnachtsliedern an ihre Seite. Und die berühmt-berüchtigten Kartoffelklöße dürfen in ihrer ungemein vielfältigen Performance natürlich auch nicht fehlen.
Man kann gespannt sein, wohin sich ihr "Theater der Dinge" in den kommenden Jahren entwickeln wird, dass es sehr sinnlich, dazu komisch und ungemein erfindungsreich ist, hat man schon jetzt genossen.
Astrid Priebs-Tröger