Was mensch braucht

Ich bin über­haupt kei­ne Freun­din von Groß­ver­an­stal­tun­gen. Doch am Sams­tag­abend bin ich extra zur dies­jäh­ri­gen "Stadt für eine Nacht" gegan­gen, um vor dem T‑Werk das por­tu­gie­si­sche Stra­ßen­thea­ter "" zu erleben.

Und was ich dort in nur fünf­und­zwan­zig Minu­ten zu sehen bekam, hat mich sehr berührt. Der Schirr­hof wim­mel­te von gut­ge­laun­ten Men­schen, die Eis aßen oder Wein tran­ken, plau­der­ten oder mit­ein­an­der knutsch­ten, als ein alter Mann auf hohen Stel­zen das Are­al betrat.

DSC03219

Mit wehen­den Hosen­bei­nen und Man­tel­schö­ßen, einem zer­knautsch­ten schwar­zen Hut auf dem schloh­wei­ßen Haar. Sein Gesicht war von einer Halb­mas­ke bedeckt, in die das geleb­te Leben ein­ge­schrie­ben war.

Unter sei­nem Arm trug er eine auf­ge­roll­te und zer­schlis­se­ne Zei­tung, die ihm sowohl als Lek­tü­re als auch als Decke dien­te. Die­ser Mann ging auf eine über­di­men­sio­nier­te Bank zu.

Er erklomm sie lang­sam und erst hier merk­te man ihm sei­ne Gebrech­lich­keit respek­ti­ve Ein­sam­keit an. Denn da saß er nun – allein. Viel zu klein für die­se rie­si­ge Bank.

DSC03227

Er kram­te in sei­nen Man­tel­ta­schen und för­der­te Brot, eine Ker­ze und sein hal­bes Leben zuta­ge. Denn plötz­lich wag­te er einen wil­den, schö­nen Tanz aus sei­nen Jugend­jah­ren, füt­ter­te ver­gnügt die Tau­ben und trat ins ima­gi­nä­re Zwie­ge­spräch mit anderen.

Doch die­se kur­zen Erin­ne­rungs­fet­zen zeig­ten umso mehr, wie "leer" es jetzt um ihn her­um war. Da half es auch nichts, dass da so vie­le Men­schen waren. Denn die blie­ben abseits, setz­ten sich nicht zu ihm auf die Bank.

DSC03229

Er hin­ge­gen ergriff die Initia­ti­ve, ver­teil­te Brot­stück­chen – Was für ein Bild! – und lud Ein­zel­ne zum Sit­zen neben sich ein. Nicht, weil er bedürf­tig war, son­dern so viel zu geben hat­te. Lei­der spü­ren nur ganz weni­ge (jün­ge­re) Men­schen, was Älter­wer­den wirk­lich heißt.

DSC03235

Dass es so viel Wär­me und Freu­de für uns alle bedeu­ten könn­te! Sérgio Fer­nan­des, der Regis­seur und Schau­spie­ler von "Sómen­te" (deutsch: Ein­sam­keit) ist einer von ihnen. Wie gut, dass er nach dem Applaus die Mas­ke lüf­te­te und sein eige­nes Gesicht zeigte.

Fotos und Text: Astrid Priebs-Tröger

18. Juli 2016 von admin
Kategorien: Allgemein, Alltagskultur, Theater | Schlagwörter: , , , | Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert