Widerstandskraft stärken!
Die Tänzerin, Choreografin und Body-Mind-Centering (BMC)–Lehrerin Odile Seitz hatte seit einem Jahr das ganz wunderbare Gefühl "im Fluss zu sein", als Mitte März "Corona" diesen abrupt stoppte.
Noch am 12. März reiste sie zur Schauspiel-Premiere ihres Mannes nach Hamburg, doch schon am nächsten Tag war klar, dass die zweite Vorstellung die (vorerst) letzte sein würde. Und wie sehr ihr Kunst und Kultur fehlen würden, verspürte Odile Seitz, als sie in Hamburg ein Kunstmuseum besuchen wollte und unerwartet vor verschlossenen Türen stand. Da ergriff sie in einem Moment Panik, wie sie gesteht, denn die Inspiration durch andere Künste "braucht sie in ihrem Leben".
Wieder zurück in Potsdam konnte sie ihre BMC-Kurse in der fabrik Potsdam und im Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT) Berlin nicht mehr anbieten und danach trudelten peu à peu die Absagen für alle 2020 geplanten Workshops und Kurse aus ganz Europa ein. Odile Seitz schrieb alles, was sie zu Beginn des Lockdowns bewegte, in einem offenen Brief nieder. Den schickte sie an Freunde und Kolleg*innen. Und sie hatte, wie sie erzählt, ein starkes Gefühl von Verantwortung ihren Kursteilnehmer* innen gegenüber. Denn BMC hat auch (immer) eine therapeutische Seite.
Ihren Brief bekam auch die Tanzpädagogin Lola Agostini, die sagte, dass er ihr viel Energie gebe. Agostini stürzte sich mit Feuereifer auf ZOOM, beide haben sich "kilometerlange SMS" geschrieben und stundenlang miteinander telefoniert. Dann war klar: Wir machen weiter! Denn für beide Frauen war es wichtig, in Kontakt mit anderen zu bleiben und nicht in "ein Loch zu kriechen beziehungsweise zu fallen." Sie wollten "Halt und Stabilität" durch ihre Bewegungspraxis anbieten.
Mit den Sozialen Medien und dem Streamen "befreundete" sich Odile Seitz im Schnelldurchlauf und gründete mit anderen die Facebook-Gruppe "BMC goes online". Inzwischen unterrichten dort Kolleg*innen aus aller Welt. Und auch Odile Seitz trifft jetzt in ihren Kursen, die sie für die fabrik streamt(e), Teilnehmer*innen aus Indien oder Holland oder von ihren Workshops, die sie in Bielefeld oder Würzburg veranstaltet hat.
In der hochemotionalen Corona-Phase 1 war es ihr ein besonderes Anliegen – sie bezeichnet es "fast als politischen Akt" – das Immunsystem zu erforschen und das Nervensystem zu stärken. Denn durch die mediale Berichterstattung und die harten Maßnahmen – ganz besonders in Frankreich, wo ihre Herkunftsfamilie lebt – wurden bei vielen Menschen tieferliegende Ängste getriggert.
Odile Seitz war es ungemein wichtig, mit ihren Kurs-Teilnehmer*innen dort genau hinzuschauen, und sich nicht durch Angst(-Energie) schwächen zu lassen. Durch Selbstermächtigung kann man/frau so auch die eigene Resilienz stärken. Nach und nach ist sie selbst "auch in den Online-Fluss" gekommen und hat während dieser Wochen, wie sie sagt, "gearbeitet wie eine Irre."
Und Odile Seitz machte die überraschende Erfahrung, dass ihre BMC-Mutter-Kind-Kurse, die sie schon länger in der fabrik anbietet, international stark nachgefragt sind, zumal sie sie in Englisch und Französisch abhalten kann. Odile Seitz hatte während des Lockdowns kaum Zeit, sich selbst zu bewegen und hat es in den knappen Arbeitspausen genossen, Fahrrad zu fahren oder sich mit ihren drei 16- bis 18-jährigen Kindern zu bewegen. Die ja jetzt auch ständig zuhause anwesend waren.
Mitte April fragte auch das HZT Berlin wieder an und so kamen zum jetzt schon übervollen Tagespensum noch regelmäßige Video-Konferenzen. Um in ihrer eigenen Kreativität nicht auf der Strecke zu bleiben, hatte sich Odile Seitz selbst verordnet, jeden Tag etwas Kreatives nur für sich zu tun. Oft schrieb sie ihre Eindrücke (Angst, Wut, Natur) auf, um sie zu verarbeiten. Mit einer befreundeten Choreografin schickte sie sich – angelehnt an Nadia Vadoris Aktion „Une minute de danse par jour“ – jeden Tag eine Minuten lange Tanzvideos, in denen sie ihre eigenen Emotionen bündelte/ bearbeitete. Inzwischen ist bei der Choreografin daraus sogar ein Kunstprojekt mit dem Titel "Partituren" entstanden.
Die Corona-Soforthilfe hat sie nicht beantragt. Odile Seitz wollte, wie sie sagt, sehen, wie sie mit der ungewohnten Situation zurechtkommt. Ihre Online-Kurse bot sie auf Spendenbasis an, um Menschen, die jetzt finanziell kürzertreten müssen, auch die Teilnahme zu ermöglichen. Und sie fand es ungemein positiv, dass einige Auftraggeber*innen sie bei Absagen persönlich anriefen und sowohl Ausfallhonorare anboten als sie auch jetzt schon für 2021 buchten.
Astrid Priebs-Tröger
Weitere Informationen finden Sie unter https://bmcgoesonline.wixsite.com/bmconline und http://www.odile-seitz.de/