Wolfszeit
Tiermetaphern führen wir ständig im Munde. Weil wir glauben, Aussehen, Wesen und tierische Verhaltensweisen zu kennen, übertragen wir diese auf menschliches Verhalten oder umgekehrt. So geschieht das auch in der Freiluft-Skulpturen-Performance von Rainer Opolka, die bis zum 1. Mai am Potsdamer Alten Markt zu sehen ist.
63 braune und schwarze Werwolf-Skulpturen mit Bezeichnungen wie Blind Soldier, Mitläufer, Kraftprotz und NSU-Mann sind dort "aufmar- schiert", um einem messingglänzenden Anführer mit rechtem ausgestreckten Arm zu huldigen. Ihre undifferenzierte, männlich-martialische Ausstrahlung erinnert an Monsterpark-Figuren.
Die Skulpturengruppe entstand als Reaktion auf die über 20.000 fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Gewalttaten, die im vergangenen Jahr in Deutschland begangen wurden. Opolka sucht (für sich) Antworten, um die Hintergründe von Pegida & Co. zu erhellen und zu begreifen.
Das ehrt ihn. Und: es erregt mediale Aufmerksamkeit. Aber, pardon, mir ist das einfach zu plakativ. Ich dachte, als ich zur Eröffnung zum Alten Markt ging, ich müsste die Wölfe – vor den Menschen – in Schutz nehmen. Und die erklärenden Texttafeln machen das Ganze auch nicht besser.
Wölfe, diese, wie wir heute wissen, überaus sozialen Wesen, müssen einmal mehr dafür herhalten, menschliches (Fehl-)Verhalten zu bebildern. Denn der Mythos vom starken, einsamen und vor allem grausamen Wolf ist scheinbar nicht auszurotten. Und er eignet sich hervorragend, um bei Vielen unbestimmte Ängste zu schüren.
Etwas ganz anderes erschreckt mich wirklich. Wieso bieten wir Neonazis in letzter Zeit so viel medialen und öffentlichen Raum? Ich denke da genauso an die NSU-Prozess-Berichterstattung mit den prägnanten Tzschäpe-Fotos, wie die Doku-Spielfilme, die dieses Phänomen zu erklären und zu bebildern versuchen und auch an manche Pegida-Berichterstattung.
Dass rechtes, nazistisches und fremden- feindliches Gedankengut bis in die Mitte unserer Gesellschaft vorgedrungen ist – darüber könnten wir seit Jahrzehnten Bescheid wissen. Doch was investigative Journalist*innen wie Andrea Röpke herausfanden und veröffentlichten, passt so gar nicht in unsere Event-Kultur.
Und es ist langwierig und mühsam, sich – in seinem eigenen Umfeld – mit eben solchen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Zumal die Rechten von sich und ihren Idealen überzeugt und in vielen Fällen auch argumentativ geschult sind. Da sind neben staatlichem Handeln persönliches Hinschauen, Wissen und immer wieder Zivilcourage gefragt.
Durch die millionenfach Geflüchteten und bei uns Asyl Suchenden kommt Bewegung in unsere, lange unter dem Deckel gehaltenen Probleme. Das ist gut so! Denn es birgt die Chance, jetzt endlich einige von ihnen wirklich in Angriff zu nehmen.
Und nebenbei auch solche "Gewissheiten", wie die vom "Bösen Wolf" ein für alle Mal über Bord zu werfen.
Text und Fotos: Astrid Priebs-Tröger
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