Die Verwüstung davor

Beklem­men­der hät­te die­ser Uni­dram-Thea­ter­abend  am Tag nach dem Wahl­sieg von Donald Trump gar nicht aus­fal­len kön­nen. Zwei Män­ner stan­den im Mit­tel­punkt der Insze­nie­run­gen des zwei­ten Fes­ti­val­ta­ges: Rein­hard Heyd­rich, der maß­geb­li­che Orga­ni­sa­tor des Holo­causts, in der Insze­nie­rung des Pra­ger Mime Clubs und der zivi­li­sa­ti­ons- und tech­nik­kri­ti­sche Phi­lo­soph Mar­tin Heid­eg­ger in der Mate­ri­al­thea­ter­auf­füh­rung des O‑Teams aus Stuttgart.

Gemein­sam ist Heyd­rich und Heid­eg­ger, dass sie in der kri­sen­haf­ten Situa­ti­on der Wei­ma­rer Repu­blik nach Ori­en­tie­rung suchen­de, rela­tiv jun­ge Män­ner waren und dass sie – unter­schied­lich stark mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus in Berüh­rung kamen. Wäh­rend sich der eine als emo­ti­ons­lo­ser Mana­ger und effi­zi­en­ter Voll­stre­cker in den Dienst des Regimes stell­te, ana­ly­sier­te der ande­re, dass der Faschis­mus, "von dem er sich mehr erhofft hat­te", wie  2014 "Die Zeit" schrieb, "selbst die Aus­ge­burt jener neu­zeit­li­chen Machen­schaf­ten war, die er doch über­win­den soll­te – ame­ri­ka­ni­siert, rech­ne­risch und boden­los technisch."

In nur fünf­und­drei­ßig Minu­ten zeich­ne­te die Pra­ger Bewe­gungs­thea­ter-Insze­nie­rung "Heyd­rich" ein punkt­ge­nau­es Psy­cho­gramm die­ses tech­no­kra­ti­schen Mas­sen­mör­ders. Der, wie ande­re sei­ner Zeit­ge­nos­sen, der Musik eben­so ver­bun­den war wie der Bar­ba­rei. So tritt Ale­xej Byček anfangs auch  wie ein Musi­ker – in wei­ßem Hemd und schwar­zer Anzug­ho­se – vor sein Publi­kum. Doch schon in den ers­ten Minu­ten, in denen er schwei­gend vor die­sem steht, spürt man, wie sehr die­ser Cha­rak­ter ande­re beherr­schen und mani­pu­lie­ren will.

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Heydrich/Foto: Benn Murhaaya

Einem vor ihm auf dem Boden sit­zen­den Mann nimmt er kur­zer­hand die Bril­le weg, ande­ren streicht er unge­fragt mit dem Gei­gen­bo­gen über ihren Kör­per und der bru­ta­le Höhe­punkt die­ser Insze­nie­rung ent­steht, als er eine jun­ge Frau aus dem Publi­kum gegen ihren Wil­len zum Tan­zen zwingt. Als die­se sich wei­gert, nimmt er sie ein­fach auf sei­ne Arme und dreht sich mit ihr besin­nungs­los. Schreck­lich, wenn da eini­ge Zuschau­er (noch immer) mei­nen, klat­schen zu müssen.

Eigent­lich kann man bei­de Insze­nie­run­gen gar nicht zusam­men bespre­chen. Zu unter­schied­lich, ja gera­de­zu gegen­sätz­lich waren sie in ihrer ästhe­ti­schen Gestalt. Wäh­rend "Heyd­rich" mit Live-Musik (Vio­li­ne: Tomáš Brum­mel) und mit eini­gen weni­gen Requi­si­ten arbei­te­te, war die Viel­zahl der Küchen­ge­rä­te und Com­pu­ter, der Töne, Geräu­sche und Bil­der und vor allem der bedeu­tungs­vol­len und ‑schwe­ren Wor­te in "Lich­tung" kaum zu über­bli­cken, geschwei­ge denn zu ver­ar­bei­ten. Fast ein Dut­zend Zuschau­er ver­lie­ßen dann auch vor­fris­tig die Waschhaus-Arena.

Doch zuerst ist da Nichts. Ein Mann sitzt am Küchen­tisch und tut nichts. Nichts als War­ten – und man hört wirk­lich die Sekun­den trop­fen! Zwi­schen all die­sen moder­nen Maschi­nen, die dem Men­schen das Leben leich­ter aber auch sinn­ent­leer­ter gemacht haben. Asso­zia­tio­nen zur gegen­wär­ti­gen und zukünf­ti­gen Arbeits­welt ent­ste­hen dabei sofort. Mar­tin Heid­eg­gers inzwi­schen fünf­zig Jah­re alte und dabei (oft) erstaun­lich zeit­ge­mä­ßen Tex­te fla­ckern als per­ma­nen­te Über­ti­telung durch die­se aus sie­ben Kapi­teln bestehen­de Bilderflut.

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Lichtung/Foto: Mar­kus Niefner

Am Ende wabern sie poe­tisch und bedeu­tungs­schwer schließ­lich auch aus den Mün­dern der bei­den männ­li­chen Prot­ago­nis­ten Flo­ri­an Fei­sel und Fol­kert Dücker, die in ihrer Wohn­kü­che nach und nach im gemein­sam, lust­voll insze­nier­ten Cha­os (Regie: Samu­el Hof) ver­schwin­den. Schier über­bor­den­des Bild- und Geräusch­thea­ter, das nach einem sinn­vol­len Dasein zwi­schen Natur und Tech­nik frag­te, war das. So kom­plex und nahe­zu undurch­schau­bar – wie die Wirk­lich­keit selbst.

Aber ein Satz aus die­ser gigan­ti­schen Wör­ter­flut setz­te sich (bei mir) fest: Die (eigent­li­che) Ver­wüs­tung beginnt vor dem Krieg. Und genau dies erscheint als der gemein­sa­me Nen­ner, auf den sich die bei­den Insze­nie­run­gen brin­gen las­sen. Was muss mit Men­schen pas­sie­ren, damit sie "reif" dafür sind, sich mani­pu­lie­ren und für Din­ge, die wider ihre eige­ne Natur sind, benut­zen zu las­sen? Eine Fra­ge, die schon oft gestellt wur­de und trotz­dem immer wie­der (neu) beant­wor­tet wer­den muss.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die­ser Text erschien zuerst in den Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten (PNN) vom 11. Novem­ber 2016.

12. November 2016 von admin
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