Auf in den Süden!

Haben Sie schon ein­mal ver­sucht, eine Strick­lei­ter nach oben zu klet­tern? Solch ein äußerst schwan­ken­des Teil hing Ende Sep­tem­ber von der Kup­pel des Mon­teli­no-Cirus­zel­tes in Pots­dam her­ab. Die Lei­ter gehör­te zur Insze­nie­rung "Etwas Bes­se­res als den Tod fin­dest Du über­all", die das Team vom Inte­gra­ti­ons­thea­ter Teu­fels­see zur Pre­mie­re brachte.

Um Regis­seur Axel Trö­ger hat sich seit mehr als 15 Jah­ren eine bun­te Schau­spiel­trup­pe ver­sam­melt, deren Mit­glie­der unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten. Zu ihr gehö­ren Men­schen mit soge­nann­ten intel­lek­tu­el­len Beein­träch­ti­gun­gen genau­so wie sol­che mit offen­sicht­li­chen kör­per­li­chen Behin­de­run­gen, Jun­ge und Alte, Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund oder sol­che mit sozia­len Benach­tei­li­gun­gen. Sie alle eint der unbe­ding­te Wil­le, gemein­sam Thea­ter zu spie­len und dabei ihre  urei­ge­nen The­men auf die Büh­ne zu bringen.

Foto: Han­nah Tröger

Inklusion leben und die ureigenen Themen auf die Bühne bringen

Dies­mal eine lose mit­ein­an­der ver­knüpf­te Sze­nen­fol­ge nach Moti­ven von Mär­chen der Brü­der Grimm und von Hans Chris­ti­an Ander­sen. "Hän­sel und Gre­tel", "Das häss­li­che Ent­lein", "Hans, mein Igel" und "Die Schnee­kö­ni­gin" stan­den Pate und Trö­ger und sei­ne momen­tan sechs Mitspieler*innen pro­du­zier­ten dar­aus etwas sehr Authen­ti­sches und unge­mein Berührendes.

Doch zuerst stürm­ten die sechs Schau­spie­ler* innen mit lau­ten Trö­ten bewaff­net das Mon­teli­no-Cir­cus­zelt und wun­der­ten sich, dass sie dort kei­ne Räu­ber vor­fan­den. Statt­des­sen hängt in der run­den Are­na die­se fast zehn Meter lan­ge Lei­ter von der rot-blau­en Kup­pel her­un­ter. Und ja, Krum­me und Lah­me, die Alten und die schein­bar "Nor­ma­len" sind glei­cher­ma­ßen fas­zi­niert von die­sem Ding.

Sie berüh­ren sie vor­sich­tig mit ihrer Geh­hil­fe, brin­gen sie, selbst auf wack­li­gen Bei­nen ste­hend, zum leb­haf­ten Schwin­gen. Und einer von ihnen steht sogar – für alle ande­ren sicht­bar müh­sam – aus sei­nem Roll­stuhl auf und es scheint einen Moment so, als wür­de er die­ses Teil erklim­men (kön­nen).

Foto: Eck­hard Tröger

Unten bleiben und doch hoch hinaufsteigen …

Aber dar­auf kommt es gar nicht an. Denn letzt­end­lich blei­ben alle unten und stei­gen doch hoch hin­auf – auf die­ser Karriere‑, Him­mels- oder auch Feu­er­lei­ter, die da so ver­füh­re­risch bezie­hungs­wei­se ret­tend vor ihren Nasen hängt und ihnen "Etwas Bes­se­res als den Tod" ver­spricht. Der Mann im Roll­stuhl wird jedoch, als er von sei­nem gewag­ten Ver­such ablässt, von den "Ande­ren", den soge­nann­ten Nor­ma­len, bru­tal aus­ge­grenzt und gna­den­los ver­spot­tet. Weil er so sicht­bar anders als die ande­ren ist.

Wie auch das "häss­li­che" Ent­lein in Ander­sens berühm­ten Mär­chen. Dar­um, und auch wie­viel (sozia­le) Käl­te heu­te zwi­schen vie­len Men­schen ist, geht es in der Inte­gra­ti­ons­thea­ter-Insze­nie­rung. Sie bringt dies in kur­zen, oft schmerz­haf­ten Sze­nen, die die Mär­chen­stof­fe adap­tie­ren, auf den Punkt.

Foto: Eck­hard Tröger

Eigene Potenziale erkennen und stärken

Das Inte­gra­ti­ons­thea­ter wür­de jedoch sei­nem Namen und sei­ner Tra­di­ti­on nicht gerecht wer­den, wenn es bei die­ser (Negativ-)Analyse ste­hen­blie­be. In der Arbeit und im Pro­ben­pro­zess geht es vor allem immer dar­um, die eige­nen Poten­zia­le zu erken­nen und zu stärken.

Und, so sagt es auch das Ent­chen im Stück, das in die Welt hin­aus­will, um eige­ne Ent­de­ckun­gen jen­seits des begrenz­ten Hori­zonts sei­ner Gegenspieler*innen zu machen. Oder –  im lan­ge nach­wir­ken­den Schluss­bild – befreit sich der von den eige­nen Eltern ver­sto­ße­ne Hans leicht und  kraft­voll zugleich aus sei­nem Eis­pan­zer und träumt laut von einem ihm gemä­ßen Leben im son­ni­gen Süden.

Text: Astrid Priebs-Tröger

30. September 2017 von admin
Kategorien: Allgemein, Alltagskultur, Theater | Schlagwörter: , , , | Schreibe einen Kommentar

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