Der Geist der Ostsee

Grau­blaue Wel­len und bedeck­ter Him­mel, anhal­ten­des Tosen und wei­ße Schaum­kro­nen: die Ost­see, wie man sie kennt und liebt, ist kein lieb­lich plät­schern­des Meer. In Vol­ker Koepps Film "See­stück", der anläss­lich des  75. Geburts­ta­ges des Doku­men­tar­fil­mers im Film­mu­se­um gezeigt wur­de, spielt sie die Hauptrolle.

Und am majes­tä­tischs­ten ist sie in Koepps neu­es­tem Film vor allem dann, wenn kei­ne oder kaum Men­schen auf den wei­ten und gemäch­li­chen Film­bil­dern zu sehen sind. Son­dern nur die­se von Gischt gekrön­ten Wel­len, dra­ma­ti­sche (Gewitter-)Himmel und bil­der­buch­schö­ne Son­nen­auf- und ‑unter­gän­ge. Oder krei­schen­de See­vö­gel, wei­den­de Was­ser­büf­fel bezie­hungs­wei­se bewal­de­te Dünen­land­schaf­ten und stei­ni­ge Küstenabschnitte.

Majestätisch – ohne Menschen

Doch die­se men­schen­lee­ren Sequen­zen sind sel­ten in "See­stück". Statt­des­sen erzäh­len mehr als ein Dut­zend Prot­ago­nis­ten aus den Ost­see-Anrai­ner­staa­ten, die der Regis­seur zum Teil schon Jahr­zehn­te kennt, über zwei Stun­den lang, was die­ses viel­fäl­ti­ge Meer für sie bedeu­tet und wie es sich seit Ende des Kal­ten Krie­ges ver­än­dert hat.

Zumeist hört man ihnen gern zu: etwa dem ver­schmitz­ten Ewald Hell­fritz, dem mit 81 Jah­ren ältes­ten Strand­fi­scher der Insel Use­dom. Oder Micha­el Suc­cow, dem enga­gier­ten ost­deut­schen Land­schafts­öko­lo­gen und der jun­gen schwe­di­schen Frau, die so wun­der­bar poe­tisch ist.  Doch es gibt auch Brü­che: Bei den bei­den pol­ni­schen Frau­en, die sich Sor­gen über die rasan­te wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung von Swi­ne­mün­de machen oder dem Pro­fes­sor aus Kali­nin­grad, der mit weni­gen bio­gra­fi­schen Sät­zen das Dra­ma des 20. Jahr­hun­derts umreißt.

Vol­ker Koepp, der im Film­mu­se­um anwe­send war, ist ein zurück­hal­tend freund­li­cher Mensch. Und in "See­stück" wie in vie­len ande­ren sei­ner über 60 Fil­me ein stil­ler, aber ein­dring­li­cher Mah­ner. Er lässt die Men­schen reden, und er fragt immer wie­der direkt nach. "Er berei­tet Freund­lich­keit, die nicht zugreift", wie in der wun­der­ba­ren Lau­da­tio von Dr. Jan Brach­mann, Musik­re­dak­teur der FAZ, der wie Koepp in Greifs­wald gelebt hat, gesagt wurde.

Kultur- und Geistesgeschichte der Ostsee ist essentiell

In die­ser phi­lo­so­phisch weit aus­grei­fen­den Rede war, wie in vie­len Koepp­schen Ost­see-Fil­men Kul­tur- und Geis­tes­ge­schich­te essen­ti­ell. Genau­so wie die Refle­xi­on des künst­le­ri­schen Pro­zes­ses. Es sind äußerst viel­schich­ti­ge Fil­me und Koepp war nie ein tou­ris­ti­scher Unter­hal­tungs­fil­mer, son­dern im Geist von Cas­par David Fried­rich oder Johan­nes Bobrow­skis in sei­ner Land­schaft, die er, wie Brach­mann sag­te, "mit sei­ner See­le such­te", unter­wegs. Und:  er zeigt immer wie­der deren zumeist men­schen­ge­mach­te (wirt­schaft­li­che) Veränderungen.

So bricht direkt nach dem medi­ta­ti­ven Anfangs­bild von "See­stück" laut­stark  und grell ein sie­ben­stö­cki­ges AIDA-Kreuz­fahrt­schiff  ins Bild hin­ein. Auch Off­shore-Wind­parks, Flüs­sig­gas­raf­fi­ne­rien und Hotel­bur­gen sowie meh­re­re Berich­te über die Zer­stö­rung des öko­lo­gi­schen oder mili­tä­ri­schen Gleich­ge­wichts wer­den dem Zuschau­er ein­dring­lich vor Augen geführt.

"Die Nost­al­gie, die man in sei­nen Fil­men spürt", so Brach­mann, "ist kei­ne bil­li­ge". "Algos, der Schmerz, der dar­in steckt, ist ein ech­ter."  Um sich und die Zuschau­er dar­in nicht ver­sin­ken zu las­sen, holt Vol­ker Koepp immer wie­der Men­schen vor sei­ne Kame­ra, die einen grö­ße­ren geis­tes­ge­schicht­li­chen Bogen span­nen, wie der Roma­nis­tik-Pro­fes­sor Rein­hard Bach, der den Geist Imma­nu­el Kants und Jean-Jac­ques Rous­se­aus beschwört und die Aktua­li­tät von des­sen "Zurück zur (wah­ren) Men­schen­na­tur" auf­zeigt.  Oder Miche­al Suc­cow, der mit einem Was­ser­büf­fel-Rena­tu­rie­rungs­pro­jekt zeigt, das Wie­der­gut­ma­chung der men­schen­ge­mach­ten Schä­den mög­lich ist. Noch.

Keine billige Nostalgie

So war die­ser wort- und bild­ge­wal­ti­ge Film­abend sowohl eine herz­li­che und berüh­ren­de Wür­di­gung des Lebens­wer­kes von Vol­ker Koepp als auch ein nach­hal­ti­ges Plä­doy­er dafür, etwas dafür zu tun, dass die­ser unge­mein viel­fäl­ti­ge und offe­ne und im bes­ten Sin­ne euro­päi­sche Geist der Ost­see und ihrer Bewoh­ner bewahrt und (wie­der) gestärkt wird.

Astrid Priebs-Trö­ger

20. Juni 2019 von Textur-Buero
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