Freiräume schaffen und Träume leben

"Dun­kel und span­nend", so beschreibt die Zeit­zeu­gin und Jour­na­lis­tin Hei­di Jäger aus der Erin­ne­rung ihre Ein­drü­cke von der fabrik. Ers­tes bezieht sich auf das Hof­ge­län­de in der Guten­berg­stra­ße 105, letz­te­res auf das Pro­gramm, das dort gebo­ten wur­de. "Die brach­ten ein­fach die Welt zu uns, damals so kurz nach der Wen­de und zeig­ten Pro­duk­tio­nen aus Län­dern, in denen wir noch nicht gewe­sen waren und ver­han­del­ten The­men, mit denen wir uns noch nicht beschäf­tigt hatten." 

Heu­te erin­nert in den sanier­ten Lin­den­ar­ca­den nichts mehr dar­an, dass jun­ge Men­schen, die sich auch der ehe­ma­li­gen Oppo­si­ti­ons­be­we­gung zuge­hö­rig fühl­ten, im Wen­de­win­ter 1989/90 das ver­las­se­ne Fabrik­ge­bäu­de besetzt und in ein sozio­kul­tu­rel­les Zen­trum umge­wan­delt haben.

Eingang Tanzstudio fabrik Gutenbergstr 1991

Ein­gang Tanz­stu­dio fabrik Guten­berg­str. 1991

Die­se jun­gen Krea­ti­ven, unter ihnen Stu­den­ten und Aus­zu­bil­den­de, hat­ten als selbst ernann­te "Selbst­hil­fe­grup­pe" eine Visi­on: Sie woll­ten für sich und ande­re Räu­me schaf­fen, um ihr krea­ti­ves Poten­zi­al zu erfah­ren und auszuprobieren.

"Durch die Zusam­men­füh­rung ver­schie­de­ner Kunst­rich­tun­gen unter einem Dach – Zeit­ge­nös­si­scher Tanz, Kör­per­thea­ter und Inde­pen­dent-Musik – ver­sucht die fabrik, fest­ge­fah­re­nen Struk­tu­ren, wie der strik­ten Tren­nung von Kunst­ma­chern und –kon­su­men­ten, Pro­fis und Auto­di­dak­ten ent­ge­gen­zu­wir­ken", heißt es in einer ihrer ers­ten Selbstdarstellungen.

Zur fabrik-Kern­grup­pe gehör­ten: Jörg Peter Sal­ge, Helen Thein, Git­ti Schulz, Mari­na Schü­ler, Bir­git Matz­ke, Wolf­gang Hoff­mann und Sven Till. Letz­te­re gel­ten als "Grün­dungs­vä­ter"; Sabi­ne Chwa­lisz kam 1992 dazu. Die Kreuz­ber­ger Archi­tek­tin und Tän­ze­rin Hei­de Mol­den­hau­er hat sich bei der Sanie­rung ver­dient gemacht.

Die fabrik-Akti­vis­ten woll­ten "über Selbst­ver­wal­tung und Eigen­fi­nan­zie­rung der kapi­ta­lis­ti­schen Ver­mark­tung des Kul­tur­be­trie­bes ent­ge­hen". Es begann also mit viel Idea­lis­mus und mit an "Wahn­sinn gren­zen­dem Enthu­si­as­mus", wie einer der Mit­strei­ter damals zu Pro­to­koll gab. In dem hal­ben Jahr bis zum Som­mer 1990 waren vie­le Hel­fer aktiv; fast ein­hun­dert Kubik­me­ter Schutt wur­den entfernt.

1 Potsdamer Tanztage 1991

1. Pots­da­mer Tanz­ta­ge: Hel­ge Musi­al und Die­ter Heit­kamp (v.l.n.r.)

Gemein­sam ver­such­ten sie, aus dem maro­den vier­stö­cki­gen Gebäu­de ein funk­tio­nie­ren­des Kul­tur­haus zu machen, was nur zum Teil gelang. Denn das undich­te Dach in dem seit Jah­ren leer­ste­hen­den Gebäu­de war nicht zu sanie­ren. Aber "wer macht, hat Macht", sag­te Wolf­gang Hoff­mann damals. Bereits im Sep­tem­ber 1990 star­te­ten die ers­te eige­ne Ver­an­stal­tungs­rei­he und ein Hof­fest mit gro­ßer Resonanz.

Bald began­nen sich auch der Ver­ein Argus, die Stadt­ver­wal­tung und die Kom­mu­na­le Woh­nungs- ver­wal­tung für die Kul­tur-Akti­vis­ten zu inter­es­sie­ren. Weih­nach­ten 1991 began­nen För­der­mit­tel in Höhe von 200.000 DM zu fließen.

Davor hat­te Wolf­gang Hoff­mann schon den Ent­schluss gefasst, die nächs­ten Cont­act-Jam-Tage nach Pots­dam zu holen – ohne jeg­li­che eige­ne Fes­ti­val­er­fah­rung. Vom 21. bis 29. Juni 1991 wur­den so die 1. Pots­da­mer Tanz­ta­ge im noch heu­te bestehen­den For­mat aus der Tau­fe geho­ben. Etwa acht­zig Leu­te nah­men damals an den bei­den Cont­act-Jam-Wochen­en­den teil und meh­re­re Hun­dert sahen die Shows von Rober­to Cas­tel­lo, Tho­mas Gug­gi sowie Eigen­pro­duk­tio­nen der fabrik und der tanz­fa­brik Berlin.

Time Wasting Faces von Thomas Guggi bei den 1 Potsdamer Tanztage 1991

Time Was­ting Faces von Tho­mas Gug­gi mit Ulri­ke Hen­ning, Pau­la E. Paul und Anet­te Klar (v.l.n.r.)

Doch der schnel­le Erfolg barg auch Kon­flikt­stoff: Denn Selbst­ver­wal­tung woll­te gelernt sein. Der Umgang mit (viel) Geld und die Mög­lich­keit zur Ein­stel­lung von Men­schen erzeug­te Ungleich­heit und schuf Hier­ar­chien. Ab 1992 wur­de ein Ein­heits­lohn ein­ge­führt. Eine weib­li­che Mit­strei­te­rin gab damals zu Pro­to­koll, dass sie unter dem "Pascha­tum" in der fabrik lei­de. Aber sie sag­te auch: "Trotz­dem war es geil, an der fabrik rum­zu­bas­teln, an einer gemein­sa­men Idee von frei­er Kultur."

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Zita­te und Fotos  sind Aus­zü­ge aus Archiv­ma­te­ri­al der fabrik Potsdam.

26. Mai 2015 von Textur-Buero
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