Die Kunst der Verschmelzung
Ich kann mich nicht erinnern, dass schon einmal ein Solist das Potsdamer Theaterfestival Unidram eröffnet hat. Zum Auftakt des diesjährigen 23. Jahrgangs war dies so. Und der renommierte brasilianische Tänzer und Figurenspieler Duda Paiva und sein Puppenkosmos faszinierten dabei von der ersten bis zur letzten Minute.
Anfangs sitzt Paiva seltsam entstellt mitten im Publikum. Mit seinen zahlreichen Beulen, Buckeln und Bäuchen scheint er der Bilderwelt eines Hieronymus Bosch entsprungen zu sein. Und auch seine rötlich schimmernden Locken und die riesige Brille nähern ihn keinem gängigen Schönheitsideal an.
Indes wird schnell klar, dass er nach "Heilung" sucht. Und Berührung scheint dabei besonders wohltuend und hilfreich zu sein. Doch die Menschen, die dieser freundliche "Quasimodo" direkt darum bittet, wirken zögerlich. Entspricht Mensch nicht einer wie auch immer gearteten Norm, wird er schnell zum Einzelgänger.
Der Tänzer und Figurenspieler Duda Paiva umgibt sich indes mit Puppen. In "Blind", was nicht nur blind, sondern auch verdeckt bedeutet, werden sie sich bis zum Schluss dieser Figuren-Theater-Tanz-Performance aus diesen seltsamen Beulen an seinem Körper herausschälen. Als immer neue Möglichkeiten für einen Dialog mit (seinen) anderen Ichs. Intensiv und zärtlich, aggressiv und weinerlich ist das – unter anderem.
Doch zuerst holt Paiva eine alterslose, barbusige und glatzköpfige Frau aus einem der drei weißen Reifröcke, die mit Schnüren an der Decke befestigt sind. Und mit dieser vitalen "Schönen", die zudem durch ihr grandioses Minenspiel und afrobrasilianische Yoruba-Gesänge bezaubert, tanzt er (s)einen ersten Tanz.
Die Kunst der Verschmelzung zwischen Mensch und Puppenwesen, die Duda Paiva meisterhaft beherrscht, kennt bei ihm keine körperlichen Grenzen. Es gibt Szenen, wo nicht mehr genau auszumachen ist, wer hier wen eigentlich führt beziehungsweise "beherrscht".
Die schlaksigen Figuren werden von Paiva als äußerst flexible Erweiterungen des eigenen Körpers genutzt und man hat den Eindruck, dass so ein Puppen-Mensch-Wesen entsteht, welches einer surrealen (Alb-)Traumwelt entsprungen zu sein scheint. Großartig auch, wie es ihm gelingt – wie in der "Pieta"-Szene – Puppen mit Puppen spielen zu lassen. Das hat man so noch nicht gesehen.
Doch die zauberhafte Illusion wird einem – allerdings gnadenlos freundlich – genommen, als man am Ende der philosophisch-tiefgründigen und zudem humorvollen Performance die wunderbaren Puppen von Evandro Serodio und Duda Paiva auf der Bühne anschauen und anfassen kann. Mehr als meisterhaft bearbeiteter Schaumstoff ist da (leider) nicht!
Astrid Priebs-Tröger
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