Präsenz und Hingabe
Zwei Dinge hakten sich sofort fest, als man die Premiere von "A Millimeter in Light Years" von Laura Heinecke in der fabrik gesehen hatte: die sechs sehr präsenten Tänzerinnen und Tänzer und das überaus markante Nebel- und Lichtdesign.
Spätestens zur Hälfte der vorwiegend im Zwielicht stattfindenden Aufführung kam einem assoziativ Hermann Hesses berühmtes Nebelgedicht von 1905 in den Sinn: Seltsam, im Nebel zu wandern./ Leben ist Einsamsein./Kein Mensch kennt den andern./Jeder ist allein.
Nähe und Distanz
Denn die Tänzerinnen und Tänzer, die in Laura Heineckes neuester Produktion tanzen, tun dies meist nebeneinander, immer in gewisser Distanz zum/zur jeweils anderen. Nur einmal, als sich ein Mann-Frau-Paar und ein Mann-Mann-Paar begegnen, entsteht so etwas wie Nähe, ja Intimität.
Doch bei dem heterosexuellen Paar wird diese schnell zur Last, die Frau schleppt den Mann am Boden kriechend, auf dem eigenen Rücken noch ein kurzes Stück weit. Bei dem gleichge-schlechtlichen Paar geht die gegenseitige Annäherung indessen sehr langsam vonstatten. Und am Ende ist es nicht die körperliche Nähe, die die Distanz überwindet. Sondern die Energie der Blicke, mit denen sich die beiden Männer – räumlich über einen Meter voneinander entfernt – begegnen.
Und besonders hier spürt man, dass es Laura Heinecke in "A Millimeter in Light Years" um etwas Anderes geht als dem melancholisch-depressiven, zur Entstehungszeit des Gedichtes noch nicht mal 30-jährigem Hesse. Letztlich geht es ihr um Präsenz und Konzentration, um die Energie des Einzelnen an sich und in der Gruppe, in der er sich bewegt. Laura Heinecke spürt der Dynamik und Stärke von Anziehung und Distanz, von Sympathie und Antipathie nach. Und sie fragt sich auch, wie sie in einem Gespräch der Märkischen Allgemeinen sagte, "ob man einem Menschen zu viel begegnen kann?"
Präsenz und Konzentration
Sie thematisiert damit (auch) die Angst des modernen Menschen vor Selbstaufgabe in einer Liebesbeziehung, die weit verbreitet scheint, jedoch oft mit der auf Gegenseitigkeit beruhenden Hingabe an die gemeinsame Beziehung verwechselt wird.
In "A Millimeter in Light Years" wird dies wunderbar eindrücklich zelebriert. Die jungen Tänzer, die aus Griechenland, Italien, Israel, Österreich und der Ukraine stammen, sind immer ganz bei sich selbst. Immer wieder tanzen sie zu – oft an knirschende Maschinengeräusche erinnernde – elektronischen Klängen von Nicolas Schulze, und es braucht Zeit, bis sie sich diese Tonspur als etwas "Eigenes" anverwandeln.
Intensiver wird dies noch sicht- und fühlbar, als sich tonal so etwas wie ein Herzschlag entwickelt und sich die Darsteller zwar mit der gleichen Energie aber mit wunderbar individuellen, kleinen Abweichungen dazu bewegen. So bleiben sie als Einzelne in der Gruppe wirklich sicht- und fühlbar. Dies ist ein Thema, das Laura Heinecke auch in ihren früheren choreografischen Arbeiten wie "Flugmodus" von 2016 oder "Glücksgrad" von 2014 interessierte.
Starker Umgang mit Licht und Schatten
Auch nicht unbedingt neu ist ihr ästhetisch starker Umgang mit Licht und Schatten, der jedoch in "A Millimeter in Light Years" eine besondere Steigerung erfährt. Als die drei Frauen unter einer beeindruckend fluiden Nebelwand verschwinden und nur noch ihre nach oben greifenden Hände zu sehen sind, ist das ein einprägsames Bild, das haften bleibt. Wie auch das markante Spiel mit dem Scheinwerfer-Lichtkegel (Lichtdesign: Ralf Grüneberg), den die Tänzer immer wieder mit ihren Armen oder Köpfen in schmalere Streifen zerteilen.
Da entstanden deutliche Anklänge an die Bildertheaterformen, die vor kurzem bei Unidram zu erleben waren. Und auch bei Laura Heinecke zielten diese visuellen Effekte nicht nur auf schöne Oberflächen, sondern direkt auf das Unbewusste. Am Schluss öffnete sich ein riesiger Licht- und Nebeltrichter, der direkt auf das Publikum gerichtet war und das sich davon nur magisch angesogen fühlen konnte.
Astrid Priebs-Tröger