Ungeheuer eigensinnig
Was verbindet eine renitente Stoffpuppe mit einer koboldhaften Tänzerin und einem melancholisch-bastelwütigen Männermusikquartett? Um dies herauszufinden, reichte ein Besuch des vorletzten Abends bei Unidram, der wiederholt mit originellen Produktionen – im Sinne von schräg, selbstbewusst und ausgefallen – aufwartete.
Meet Fred
Die kleine Stoffpuppe namens Fred eroberte jedenfalls die Herzen der Zuschauer*innen im Nu. Gerade mal einen halben Meter groß und von drei Spielern geführt, ohne Mund, Nase, Augen im Gesicht – doch dafür mit dem Herzen auf dem rechten, äh, linken Fleck.
Und mit eigenen Träumen – "unangemessen" riesengroß!!! Die Fred sowohl beim Termin auf dem Arbeitsamt als auch beim Parkbank-blind-Date mit Lucile vehement verteidigte. Und sogar gegen den Regisseur des Abends liebenswürdig widerborstig durchsetzte, der das "Manuskript" der Inszenierung und somit von Freds Puppenleben gleich auf fünf schwarzen Tafeln niedergeschrieben hatte und abzuarbeiten gedachte.
Große Klasse, wie beim Hiijix Theatre – dieser inklusiven Theatergruppe aus Cardiff das Thema Eigensinn in ganz verschiedenen Bereichen auf den Punkt gebracht und wie Fred dabei auch zur Metapher für das oft durchregulierte Leben von Menschen mit Behinderung wurde.
Mit wunderbar schwarzem, eben englischem Humor, wurden auch typische Stereotype – wie jenes, dass Menschen mit Behinderung bestenfalls untergeordnet "mitarbeiten" können – durchbrochen.
Denn in "Meet Fred" hat zum Schluss der coole Martin das grüne Basecap des Stage Managers erobert. Und der eigensinnige Fred ist da sowieso schon lange Creator seines eigenen, wunderbar vielfältigen Lebens.
Black Regent
Der zweite englische Beitrag des Freitagabends faszinierte und irritierte zugleich. Mit ungeheurer Intensität und Kraft wand sich die Tänzerin Iona Kewney in "Black Regent" in rohen und ungebändigten Bewegungen zu Beginn am Boden.
Dies setzte sich auch fort, als die überaus biegsame Tänzerin ihre außerordentlich geschmeidigen Glieder zu expressiven, so noch nicht gesehenen Figuren auch in der Senkrechten verknotete. Doch: das war – im landläufigen Sinne – nicht "schön", sondern erinnerte an hexen- oder koboldhafte Wesen, die sich beinahe irrsinnig ihr Leben aus dem Leib tanzen.
Zum durchdringend hohen, eindringlichen Gesang ihres Bühnenpartners Joseph Quimby entwickelte sich eine radikale Soloperformance, die expressiv-lebendig ein durchaus gegenwärtiges "wildes" Lebensgefühl zum Ausdruck brachte.
Etwas, was heutzutage bei Vielen im Alltag jedoch unter "schönen", eminent kontrollierten Oberflächen gezügelt und nur im Verborgenen in Exzessen aller Art ausgelebt wird. Also auch bei Iona Kewney jede Menge Eigensinn und das Beharren auf einem eigenen Standpunkt fernab von sehr vielen Konventionen.
Leak
Noch "verrückter" fühlte sich die wunderbare Aufführung der vier holländischen Musiker vom Musiktheaterquartett BOT an, die zusammen in einer engen Transportbox in diesem lange nicht bewohnten Zimmer mit den weiß abgedeckten Möbeln anrollten.
Geert Jonkers, Tomas Postema, Job van Gorkum und Doan Hendriks haben zwei Passionen: die Liebe zur Musik und das handwerkliche Geschick, aus mechanischen Alltagsgegenständen skurril-anmutige Maschinen – wie beispielsweise ein selbstspielendes rollstuhlfahrendes Cello- zur ungemein vielseitigen Geräuscherzeugung zu kreieren.
Hinzu kommt ihre innige Leidenschaft für das (ganze) Leben und somit auch für dessen Vergänglichkeit, der sie in ihren herrlich melancholisch vorgetragenen, poetischen Balladen huldigen. Wer kann, der sollte sich das unbedingt (heute Abend!) nochmal ansehen – Ja. Ja. Ja.
Astrid Priebs-Tröger