Ungeheuer eigensinnig

Was ver­bin­det eine reni­ten­te Stoff­pup­pe mit einer kobold­haf­ten Tän­ze­rin und einem melan­cho­lisch-bas­tel­wü­ti­gen Män­ner­mu­sik­quar­tett? Um dies her­aus­zu­fin­den, reich­te ein Besuch des vor­letz­ten Abends bei Uni­dram, der wie­der­holt mit ori­gi­nel­len Pro­duk­tio­nen – im Sin­ne von schräg, selbst­be­wusst und aus­ge­fal­len – aufwartete.

Meet Fred, Foto: Hol­ger Rudolph

Meet Fred

Die klei­ne Stoff­pup­pe namens Fred erober­te jeden­falls die Her­zen der Zuschauer*innen im Nu. Gera­de mal einen hal­ben Meter groß und von drei Spie­lern geführt, ohne Mund, Nase, Augen im Gesicht – doch dafür mit dem Her­zen auf dem rech­ten, äh, lin­ken Fleck.

Und mit eige­nen Träu­men –  "unan­ge­mes­sen" rie­sen­groß!!! Die Fred sowohl beim Ter­min auf dem Arbeits­amt als auch beim Park­bank-blind-Date mit Luci­le vehe­ment ver­tei­dig­te. Und sogar gegen den Regis­seur des Abends lie­bens­wür­dig wider­bors­tig durch­setz­te, der das "Manu­skript" der Insze­nie­rung und somit von Freds Pup­pen­le­ben gleich auf fünf schwar­zen Tafeln nie­der­ge­schrie­ben hat­te und abzu­ar­bei­ten gedachte.

Gro­ße Klas­se, wie beim Hii­jix Theat­re – die­ser inklu­si­ven Thea­ter­grup­pe aus Car­diff das The­ma Eigen­sinn in ganz ver­schie­de­nen Berei­chen auf den Punkt gebracht und wie Fred dabei auch zur Meta­pher für das oft durch­re­gu­lier­te Leben von Men­schen mit Behin­de­rung wurde.

Mit wun­der­bar schwar­zem, eben eng­li­schem Humor, wur­den auch typi­sche Ste­reo­ty­pe  – wie jenes, dass Men­schen mit Behin­de­rung bes­ten­falls unter­ge­ord­net "mit­ar­bei­ten" kön­nen – durchbrochen.

Denn in "Meet Fred" hat zum Schluss der coo­le Mar­tin das grü­ne Base­cap des Stage Mana­gers erobert. Und der eigen­sin­ni­ge Fred ist da sowie­so schon lan­ge  Crea­tor sei­nes eige­nen, wun­der­bar viel­fäl­ti­gen Lebens.

Black Regent, Foto: Tom van Nuffel

Black Regent

Der zwei­te eng­li­sche Bei­trag des Frei­tag­abends fas­zi­nier­te und irri­tier­te zugleich. Mit unge­heu­rer Inten­si­tät und Kraft wand sich die Tän­ze­rin Iona Kew­ney in "Black Regent" in rohen und unge­bän­dig­ten Bewe­gun­gen zu Beginn am Boden.

Dies setz­te sich auch fort, als die über­aus bieg­sa­me Tän­ze­rin ihre außer­or­dent­lich geschmei­di­gen Glie­der zu expres­si­ven, so noch nicht gese­he­nen Figu­ren auch in der Senk­rech­ten ver­kno­te­te. Doch: das war – im land­läu­fi­gen Sin­ne – nicht "schön", son­dern erin­ner­te an hexen- oder kobold­haf­te Wesen, die sich bei­na­he irr­sin­nig ihr Leben aus dem Leib tanzen.

Zum durch­drin­gend hohen, ein­dring­li­chen Gesang ihres Büh­nen­part­ners Joseph Quim­by ent­wi­ckel­te sich eine radi­ka­le Solo­per­for­mance, die expres­siv-leben­dig ein durch­aus gegen­wär­ti­ges "wil­des" Lebens­ge­fühl zum Aus­druck brachte.

Etwas, was heut­zu­ta­ge bei Vie­len im All­tag jedoch unter "schö­nen", emi­nent kon­trol­lier­ten Ober­flä­chen gezü­gelt und nur im Ver­bor­ge­nen in Exzes­sen aller Art aus­ge­lebt wird. Also auch bei Iona Kew­ney  jede Men­ge Eigen­sinn und das Behar­ren auf einem eige­nen Stand­punkt fern­ab von sehr vie­len Konventionen.

LEAK, Foto: René den Engelsman

Leak

Noch "ver­rück­ter" fühl­te sich die wun­der­ba­re Auf­füh­rung der vier hol­län­di­schen Musi­ker vom Musik­thea­ter­quar­tett BOT an, die zusam­men in einer engen Trans­port­box in die­sem lan­ge nicht bewohn­ten Zim­mer mit den weiß abge­deck­ten Möbeln anrollten.

Geert Jon­kers, Tomas Poste­ma, Job van Gor­kum und Doan Hen­driks haben zwei Pas­sio­nen: die Lie­be zur Musik und das hand­werk­li­che Geschick, aus mecha­ni­schen All­tags­ge­gen­stän­den skur­ril-anmu­ti­ge Maschi­nen – wie bei­spiels­wei­se ein selbst­spie­len­des roll­stuhl­fah­ren­des Cel­lo- zur unge­mein viel­sei­ti­gen Geräusch­er­zeu­gung zu kreieren.

Hin­zu kommt ihre inni­ge Lei­den­schaft für das (gan­ze) Leben und somit auch für des­sen Ver­gäng­lich­keit, der sie in ihren herr­lich melan­cho­lisch vor­ge­tra­ge­nen, poe­ti­schen Bal­la­den hul­di­gen. Wer kann, der soll­te sich das unbe­dingt (heu­te Abend!) noch­mal anse­hen – Ja. Ja. Ja.

Astrid Priebs-Trö­ger

02. November 2019 von Textur-Buero
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