Kunst ist schön …
Die Bühne: ein Schlachtfeld. Und vier verschwitzte und verklebte, bekleckerte und erschöpfte Performer:innen badeten im minutenlangen Beifall des Publikums, den dieses für das Eröffnungsstück des Unidram-Festivals spendete. Nicht nur, weil es augenscheinlich begeistert war, sondern weil es endlich wieder möglich ist, gemeinsam – in geschlossenen Räumen – Beifall zu klatschen.
"Kunst ist schön … macht aber viel Arbeit", dieses Bonmot passt einerseits perfekt und andererseits überhaupt nicht zu dem, was die belgische Kompanie Cie Claudio Stellato zur Eröffnung von Unidram im T‑Werk präsentierte.
Drei Männer und eine Frau arbeiteten sich in der saft- und kraftvollen Performance "Work" mit Hämmern an langen Zimmermannsnägeln in splitternden Holzbalken oder mit nackten Händen und Füßen an/in krachenden Sperrholzwänden ab, die sie erst mit Farbe und später mit flüssigem Beton zuschmierten und dabei immer wieder durchlöcherten.
Richtige schweißtreibende Hand- bzw. Körperarbeit war das. Mit viel Kraft und gleichzeitiger Lust an der Zerstörung des gerade Geschaffenen ausgeführt. Was dabei entstand, war jedoch kein fertiges "Produkt", sondern immer nur ein Teil/Schritt eines lustvoll anarchischen, einerseits handwerklichen, andererseits künstlerischen Prozesses. Nicht im landläufigen Sinne "schön".
Der Italiener Claudio Stellato, Jahrgang 1977, ist ein multidisziplinärer Künstler und sucht in seinen Performances, die Elemente von Tanz, Zirkus, Musik und Bildender Kunst enthalten, immer nach der Beziehung zwischen Körper und Materie.
In "Work" verausgaben sich die menschlichen Körper – mal nahezu unbekleidet und dann in Arbeits-Overalls steckend – und suchen sich selbst und die splitternde, krachende oder glitschige Materie immer wieder in Form zu bringen.
An der raumgreifenden Sperrholzwand entsteht dabei erst so etwas wie moderne abstrakte Kunst – ein riesiges grünrotblaues Gemälde – in dem schließlich einer der Performer wie ein gekreuzigter Engel festgetackert wird. Dort hängt er mit ausgebreiteten Flügeln und versucht, der zunehmend misslichen Lage mit hohem Kraftaufwand und akrobatischem Geschick zu entkommen.
Genauso wie in einer der Anfangsszenen, als sich der Performer mit dem Eselskopf und der wie ein Geteerter und Gefederter Aussehende – Teeren und Federn war eine Methode der Strafe, der Folter oder der Selbstjustiz – mit Nägeln durch die Schuhe an ihren Holzbalken befestigten.
Und die auch lange nicht davon loskommen (können oder wollen?), erst tanzen und dann marschieren sie mit den Balken unter den Füßen im gleichen Takt, sind so zumindest akustisch Teil einer größeren Gruppe, wie sie ja z. B. bei Fabrikarbeit vorkommt.
Doch Kunst ist, anders als diese, nicht entfremdete Arbeit. Und sie ist, um im Rückgriff auf Marx zu sprechen, Ausdruck der individuellen physischen und psychischen Kräfte des Menschen und ein Prozess, in dem der Mensch sich entwickelt und er selbst wird.
In Stellatos "Work" wird dieser Unterschied sicht- und fühlbar und auch gezeigt, wie schwierig es ist, sich aus einer nicht selbst bestimmten Rolle zu befreien. Nicht nur das macht diese auch immer wieder humorvolle Arbeit äußerst aktuell.
Ohne ein einziges Wort zu verlieren, wurden damit vielfältige Assoziationsräume eröffnet, Verstand und Sinne angeregt. So kann es gerne weitergehen bei Unidram, das bis zum Sonntag noch 15 weitere internationale Companies präsentiert.
Sehr sehenswert ist auch das Filmprojekt "Kunstpause" vom Potsdamer Künstlerkollektiv KOMBINAT, das im ersten Lockdown in den leeren Potsdamer Kunsträumen gefilmt wurde und das nicht nur starke Bilder, sondern einen ebensolchen Bezug zum Thema "Arbeit" bietet.
Astrid Priebs-Tröger
Eine Besprechung von "Kunstpause" findet man hier: https://textur-buero.de/lob-der-entschleunigung/