Verstörend
Nach dieser Vorstellung gingen viele Besucher wortlos auseinander. Die Beklemmung, die Arkadi Zaides "Archive" hinterließen, erlaubte es nicht, danach einen normalen Gesprächsfaden zu spinnen.
Zaides Choreografie "Archive" basiert auf Videobildern. Seit 2007 stellt B´Tselem – das israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten – Palästinensern Videokameras zur Verfügung. Diese dokumentieren damit die alltägliche Gewalt, die von den Besatzern ausgeht. Aus diesem Material hat der Choreograf typische Szenen herausgesucht und zu einer Film-Collage aus Palästinensersicht zusammengesetzt:
Israelische Kinder, die Steine werfen, israelische Siedler, die Felder anzünden, israelische Soldaten, die Demonstranten attackieren – seit Jahrzehnten Alltag im besetzten Land. Hierzulande hat man das zigmal gehört und gesehen und genauso oft weggeschaut. Bei Zaides, der selbst Israeli ist, kann man beides nicht.
Anfangs flimmern verwackelte Bilder über die Leinwand im T‑Werk. Doch die Frauen, die man nicht sieht, sondern nur hört, berühren sofort. Dann werden die Bilder deutlicher und noch immer könnte man, wenn man den Kontext nicht kennt, einige der Szenen für "normal" halten, Schafe vertreiben zum Beispiel.
Doch der Tänzer und Choreograf schaut sich die charakteristischen Bewegungen beim Steinewerfen, beim Schießen oder Abdrängen von Demonstranten an und reproduziert diese auf der Bühne, während im Hintergrund noch die Filmsequenzen laufen. Beides zusammen wirkt anfangs befremdlich. Doch als Zaides diese Bewegungen fortführt, auch als die Videobilder weg sind, beginnen sie, sich in seinen Körper einzuschreiben.
Und auch die Aggressivität bemächtigt sich seiner. Unglaublich, die kurze Szene, in der er wie die Siedler, den Kopf mit seinem T‑Shirt verhüllt. Als er es wegnimmt, vermag sofort man den Unterschied zu spüren. Wenn er sein offen Gesicht zeigt, ist er angreifbar und seine Gesten sind weniger kriegerisch.
Auf dem Höhepunkt dieser sehr mutigen Inszenierung hat die Energie der Gewalt den Körper des Tänzers Zaides völlig ergriffen. Seine Gesten sind ausgreifend und rauschhaft enthemmt. Das Theater hallt von seinem Geschrei wider und man braucht einiges an Widerstandskraft, um von dieser (universellen) Energie nicht völlig übermannt zu werden.
Astrid Priebs-Tröger
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