Quo vadis, Russland?
Fotos von Hochhäusern, Militärdenkmälern und Massen-Aufmärschen mit weiß-rot-blauen Flaggen: seit mehr als drei Jahrzehnten bereist der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz die UdSSR beziehungsweise Russland und hält, dabei oft den Spuren Alexander von Humboldts folgend, das (Alltags-)Leben im größten Land der Erde in Momentaufnahmen fest.
Jetzt ist in der ae-Galerie, die zuvor eine Ausstellung ukrainischer Fotografinnen zeigte, Frank Gaudlitz neue Ausstellung "Und das Ende ist der Krieg" zu sehen. Und genauso wie die Ukrainerinnen zeigt er kaleidoskopartig die innergesellschaftliche Atmosphäre einer Vorkriegszeit. Gaudlitz war zum letzten Mal 2021 im Land und von dieser Reise sind jetzt etwas mehr als ein Dutzend großformatiger Fotos (100 x 84 cm) zu sehen.
Viele Bilder von (maroden) Gebäuden sind darunter, wie dieses aus Tobolsk, einer der ältesten sibirischen Städte, auf dem ein windschiefes folkloristisches Holzhaus vor einem Wolkenkratzer zu sehen ist. Beide kontrastierenden Gebäude zeigen einen der zahlreichen Spannungsbögen, zwischen dem das Riesenreich – unentschieden zwischen Tradition und Moderne – schon länger steht.
Ein weiterer Zwiespalt ist genauso unübersehbar. Im Fenster der ae-Galerie hängen Fotos, die den GULAG und den Großen Vaterländischen Krieg oder auch die Eroberung der Arktis thematisieren. Es sind Aufnahmen von Dioramen aus dem Moskauer Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges, der für Viele nach wie vor identitätsstiftend ist.
Sie werden komplettiert mit Aufnahmen, die ältere und neuere (Kriegs-)Denkmäler zur Verherrlichung männlichen Heldenmutes zeigen. Diese Monumente stehen zumeist vor Wohnblocks, die schon länger nicht saniert worden sind. Gänzlich unerträglich wird die mentale Militarisierung auf Fotos, die Frank Gaudlitz bereits 2017/18 in Russland schoss.
Sie zeigen unter anderem, wie schon Kinder und Jugendliche ans Militärische herangeführt werden. Beispielsweise auf der "internationalen Kindermodewoche", bei der die Jüngsten in Militärklamotten und mit modernen Waffen posieren oder in einer St. Petersburger Ballettschule, deren Eleven nicht mit Spitzenschuhen sondern in Uniformen strammstehend abgebildet sind.
Diese älteren Fotos hat Gaudlitz erst nach dem Kriegsbeginn in seinen Archiven gesichtet und als aktuellen Kommentar zu den Bildern aus dem vergangenen Jahr hinzugesetzt. Sie sind wesentlich kleiner und zahlreicher als die großen und entstanden beinahe zufällig auf früheren Reisen.
Doch sie spiegeln eine bedrückende Kontinuität im patriotisch-militaristischen Geist, der spätestens seit Putins Wiederwahl 2018 im Lande herrscht beziehungsweise sich seitdem immer weiter verstärkt hat. Man sieht zahlreiche Fotos von Militärfahrzeugen, Aufzügen mit Russlandfahnen sowie mit Stalin- und Leninbildern und ahnt, für welchen Weg sich dieses Land, das von Putin autokratisch regiert wird, entschieden hat.
Frank Gaudlitz und die Galeristin Angelika Euchner wollen mit dieser Ausstellung einen öffentlichen Diskussionsraum schaffen, in dem darüber nachgedacht und gesprochen werden kann, wohin Russland sich entwickelt. Zur Vernissage am 5. August, um 19 Uhr sind die renommierte Umweltjournalistin Angelina Davydova und der Dichter Alexander Delfinov angekündigt, die aus erster Hand aus ihrem Land, das sie verlassen haben, berichten werden.
Gaudlitz ist 2022, obwohl er es vorhatte, nicht erneut dorthin gereist. Das konnte er nicht im Angesicht des Angriffskrieges, aber auch in Anbetracht der Tatsache, dass er als deutscher Fotograf, der diesen Krieg öffentlich Krieg nennt, ständig dem Risiko einer Verhaftung ausgesetzt ist.
Drei schwarz-weiß Bilder, die er 2017 bei einer Anti-Putin-Demonstration auf dem Marsfeld in St. Petersburg fotografierte, zeigen deutlich die einschüchternde Gewalt, die der immer spärlicher werdenden Opposition im eigenen Land schon damals entgegenschlug.
Astrid Priebs-Tröger
Die Ausstellung ist vom 6. August bis 4. September, jeweils Mittwoch bis Freitag von 15 bis 19 Uhr, Samstag von 12 bis 16 Uhr geöffnet.