Inside Niederlausitz
Videobilder von Seen, Kiefernwäldern, Windrädern und Tagebaulandschaften flimmern in der abendlichen Dunkelheit über die Stirnseite eines Schlaatzer Neubaublocks. Volkslieder aus dem 19. und 20. Jahrhundert werden, genauso wie Redebeiträge aus DDR-Zeiten oder über Helmut Kohls "Blühende Landschaften", dazu gestellt.
Musikalisch-choreografische Bilder einer Region ist die Klang-Tanz-Video-Performance der Cottbusser Choreografin Golde Grunske überschrieben, die im Potsdamer Wohngebiet Schlaatz im Rahmen von Dance in Residence aufgeführt wurde.
Was ist Heimat, fragt die Choreografin, die seit zwei Jahrzehnten in Cottbus, dem Zentrum der Niederlausitz, zuhause ist. Sie untersucht im Spannungsfeld von Provinz und Metropole zum wiederholten Male den Heimatbegriff. Dem in "Klänge der Lausitz" über Liedtexte und –collagen von Konrad Jende sehr sinnlich nachzuspüren ist.
Was dazu anregt, diese Region auch jenseits von Braunkohle und Gewürzgurken wahrzunehmen. Einen Landstrich, der den Süden Brandenburgs, den Osten Sachsens sowie Teile Niederschlesiens umfasst. Unterteilt in Ober- und Niederlausitz, bis in den Spreewald und viel früher sogar bis ins Berliner Stadtgebiet reichend. "Lusatia" klingt zudem märchenhaft und war es auch, wie es beispielsweise in der Krabat-Sage überliefert ist.
Es ist eine Region, die (uns) nah und fern zugleich ist. "Klänge der Lausitz" beginnt mit einem melancholischen sorbischen Liebeslied aus dem 19. Jahrhundert. Dazu sieht man einen Mann wie leblos im Wasser treiben, während gleichzeitig die sechs weiß gekleideten Tänzer:innen die improvisierte Bühne betreten. Sie tanzen dazu in einer Stimmung, wie sie vor der umgekehrten Ophelia-Situation geherrscht haben könnte.
Diese Gegenläufigkeit zeichnet die multimediale Performance aus. Die Tänzer:innen, die sowohl live als auch in der durchgehenden Videoproduktion von Alexander Janetzko anwesend sind, kommentieren bzw. brechen die Toncollage, die auch das früher oft gesungene DDR-Lied "Wer möchte nicht im Leben bleiben" oder auch die "Oberlausitzer Hymne" von 1929 umfasst.
Es geht über das sehr unterschiedliche Liedgut hinein in eine innere Befindlichkeit, die außerhalb der Lausitz – die Performance befasst sich jedoch hauptsächlich mit der Niederlausitz – wenig bekannt ist. Heimatverbundenheit, Bodenständigkeit und Verlusterfahrungen werden fühlbar und doch gebrochen durch diese tanzenden jungen Menschen, von denen keine:r aus der Region stammt.
Man sieht sie immer wieder in der Gruppe beieinander stehen, angelehnt/abgestützt eine:r an den anderen, dann rudern alle wie wild mit ihren Armen und kommen in den chaotischen Zeitverläufen nicht recht vom Fleck. Grundlage der Produktion waren Interviews, die Golde Grunske im Vorfeld v. a. mit Bergleuten und Menschen, die in der Region geboren wurden, führte. Auch ihr Videodesigner Alexander Janetzko hat sorbische Wurzeln.
Es gibt in der vielschichtigen Performance auch immer wieder Momente, wo sich Leichtigkeit und Lebensfreude einstellen, wo die Tänzer:innen große Bewegungen tanzen und viel Selbstvertrauen und Schwung zu spüren ist.
Im letzten Drittel gibt es ein besonders eindringliches Bild: die junge Frau in sorbisch-wendischer Tracht, die allein zwischen gesichtslosen Neubaublocks sitzt. Brauchtum, Moderne und Entwurzelung werden so sinnfällig thematisiert.
Die facettenreiche Collage berührt auch das Thema des Strukturwandels von der Energie- zur Erholungsregion und zeigt mit ihren endlosen Sandflächen die (Vor-)Boten des Klimawandels.
In "Klänge der Lausitz" ist spürbar, was Transformationsprozesse sozial und kulturell auslösen (können). Und ihre Schöpfer:innen versuchen erfolgreich, den Heimat-Begriff, der seit geraumer Zeit vom rechten Rand besetzt ist, in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."