Die letzte Schicht
Die Arbeit der Kohlearbeiter: innen in den Koksfabriken von Lauchhammer in der Niederlausitz war schwer. Nicht nur körperlich, sondern auch der Phenol- oder Ammoniakgestank sowie der ohrenbetäubende Maschinenlärm setzte ihnen zu. Und doch sagten viele, als ihre Brikettfirmen Anfang der 1990er Jahre abgewickelt wurden, "dass sie sofort wieder in die Kohle gehen würden."
Die Fotografin Christina Glanz (*1946) hat diese Männer und Frauen über mehrere Jahre begleitet und ihre Fotografien der damaligen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen sind jetzt in einer Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen.
Und das ist gut so. Denn noch immer kämpft die Niederlausitz als bedeutendster Energiestandort Ostdeutschlands mit den Folgen der wirtschaftlichen Transformationen seit der Wiedervereinigung. Und seitdem werden werktätige Menschen viel zu selten fotografiert; die reale Arbeitswelt ist als Sujet zeitgenössischer Fotograf:innen so gut wie verschwunden.
Umso faszinierender ist es, jetzt die schwarz-weiß Fotos der Kohlearbeiter:innen, die vorwiegend in den 1990er Jahren entstanden, anzuschauen. Schon die ältere Frau vom Ausstellungsplakat zeigt so viel gelebtes Leben in ihrem herben Gesicht, das man sofort neugierig auf die Geschichte(n) dahinter wird.
Und die gibt es in dieser Fotoausstellung ebenfalls exemplarisch zu hören. Denn Christina Glanz war mehr als einmal in den Koksfabriken unterwegs und hat vor allem auch zu den zahlreichen Frauen, die dort in Männerberufen zum Beispiel als Maschinist:innen arbeiteten, vertrauensvolle Beziehungen entwickelt.
Sodass sie viele von ihnen auch in der Situation, in der sie ihre endgültige Kündigung erhielten, fotografieren durfte. Im Ausstellungsteil "Die Kündigungen" von 1993 sind 14 von ihnen in diesem besonderen Moment abgelichtet. Wir sehen neben den Frauen genauso viele Männer aller Altersklassen und aus verschiedenen Arbeitsbereichen.
Ölverschmiert im Blaumann oder mit Schlips und Kragen nehmen sie den weißen Brief, der eigentlich ein blauer ist, entgegen. Diese schwerwiegende Botschaft wird sehr unterschiedlich aufgenommen und als Momentaufnahme auf den Film gebannt.
Abhängig vom Alter und auch der Position der Porträtierten sind sowohl Wut als auch Resignation, Überraschung und Unglauben, Schicksalsergebenheit und Kränkung als auch Traurigkeit und Widerstand zu spüren.
Denn die Porträtierten haben zum Teil jahrzehntelang ihren Mann beziehungsweise ihre Frau gestanden, in einem Industriebereich, der für die junge DDR überlebenswichtig war. Denn die Braunkohlehochtemperaturverkokung entstand Anfang der 1950er Jahre in Lauchhammer, weil der kapitalistische Westen ein Steinkohleembargo gegen die sozialistische deutsche Republik verhängte.
Viele Menschen kamen, um in der Niederlausitz schwer zu arbeiten und gut zu verdienen, Männer und Frauen gleichermaßen und wenn man die 12 Kollektivfotos unter dem Titel "Die letzte Schicht" von 1992–94 ansieht, merkt man schnell, wie divers – im Sinne von Alter oder Ausbildungsstand – diese Brigaden waren. Und in den Interviews erfährt man, dass neben hochqualifizierten Facharbeiter:innen auch Menschen mit Alkoholproblemen dort schufteten und sozial aufgefangen wurden.
Zudem sind noch Fotos von Jugendlichen bei der vormilitärischen Ausbildung und nach der Wiedervereinigung zu sehen, was wohl kuratorisch als Kontrastierung zum gezeigten Arbeitsethos gedeutet werden kann. Gebraucht hätte es das nicht, sondern vielmehr Fotos von Lauchhammer oder sogar den privaten Räumen der Arbeiter: innen hätten diese bemerkenswerte Exposition noch rund(er) gemacht.
Letztendlich wird in nahezu jedem Foto sicht- und spürbar, wie grundlegend anders als heute die sozialistische Arbeitswelt organisiert war und wie sehr die Menschen ihre Arbeit als herausfordernde Lebensaufgabe, denn als "Job" ansahen. In den eindrucksvollen Fotos sind der Stolz und die Würde, aber auch die Erschöpfung und die Kraft dieser Arbeiter:innen bis jetzt zu spüren.
Astrid Priebs-Tröger