Am Puls Afrikas

Die fabrik vibrier­te vom Tanz- und Rhyth­mus­feu­er­werk, das die sechs Urban Dancers von der Pari­ser Par Terre Dance Com­pa­ny von Anne Nguy­en in der Deutsch­land­pre­mie­re von "Matière(s) Première(s)" entfesselten.

Wäh­rend zur Eröff­nung der Pots­da­mer Tanz­ta­ge die ori­gi­nä­re Tanz­wut noch auf sich war­ten ließ, spür­te man hier vom ers­ten Moment an, wie essen­ti­ell Tanz, Bewe­gung und Rhyth­mus bei die­sen Performer:innen ist, die alle­samt der Urban Dance-Sze­ne ent­stam­men und zum ers­ten Mal mit der viet­na­me­sisch-fran­zö­si­schen Cho­reo­gra­fin Anne Nguy­en zusammenarbeiteten.

MATIERE(S) PREMIERE(S), pho­to by Patrick Berger

"Bar­ro Dancer", "Made­moi­sel­le Dó", "Wil­ly Kazz­ama", "Esther", "Sali­fus" und Grâce Tala haben bis­her im urba­nen Raum und auf Batt­les bezie­hungs­wei­se in you­tube-Vide­os getanzt und die Cho­reo­gra­fin hat sie gezielt für "Matière(s) Première(s)", was auf Deutsch Roh­stof­fe bedeu­tet, engagiert.

MATIERE(S) PREMIERE(S), pho­to by Patrick Berger

Mit die­sem Stück will sie unter ande­rem zei­gen, wie reich­hal­tig, divers und roh die ver­schie­de­nen Tanz­spra­chen Afri­kas sind, wie sie im kur­zen Vor­ge­spräch sag­te.  Die ja stark von den jewei­li­gen loka­len Tanz­tra­di­tio­nen geprägt sind, und die sich ihrer­seits hybri­di­sie­ren, wenn die Tänzer:innen aus unter­schied­li­chen Län­dern Afri­kas in Paris ankom­men, um dort zu leben.

MATIERE(S) PREMIERE(S), pho­to by Patrick Berger

Und natür­lich zu tan­zen und sich sowohl unter­ein­an­der, als auch mit dem west­eu­ro­päi­schen Publi­kum ver­stän­di­gen müs­sen. Urba­ne Tän­ze fin­den zwar inzwi­schen welt­weit Anklang, doch wenn man genau­er hin­schaut, merkt man schnell, wie wenig man eigent­lich von deren Ursprün­gen und ihrem Ein­ge­bet­tet Sein in sozia­le Räu­me und gesell­schaft­li­che Ver­hält­nis­se versteht.

Vie­le Ges­ten und Bewe­gun­gen sind nicht ein­deu­tig zu ent­schlüs­seln bezie­hungs­wei­se zu über­set­zen. Wie bei­spiels­wei­se Geis­ter­aus­trei­bun­gen oder auch die Dar­stel­lung von Geschlech­ter­rol­len. Bei Nguy­en tan­zen zuerst die Män­ner mit einer Frau­en­hand auf dem Kopf und spä­ter pas­siert dies umge­kehrt.  Und es ist, als müss­te man, wenn man sich den wirk­lich dar­auf ein­las­sen will, vie­le neue (Tanz-)Sprachen und Bedeu­tun­gen ler­nen. "Matière(s) Première(s)" schafft nicht nur dafür ein Bewusstsein.

Denn die euro­zen­tris­ti­sche Hal­tung zur Welt hat noch immer kolo­nia­le Züge und nicht nur wich­ti­ge Roh­stof­fe son­dern auch Men­schen und ihre Kul­tu­ren wer­den nach Belie­ben auf­ge­so­gen respek­ti­ve aus­ge­beu­tet. Und wäh­rend die sechs Urban Dancers im Stück zum Ende hin plötz­lich paar­wei­se euro­pä­isch tan­zen, zeigt das ein­mal mehr, wie ein­sei­tig Inte­gra­ti­on immer noch funktioniert.

Davor aber gibt es quir­li­ge Stra­ßen­sze­nen mit sehr viel Rhyth­mus und auch Anklän­gen von Gewalt. Ted Bar­ro Boum­ba, Domi­ni­que Elen­ga, Mark-Wil­fried Koua­dio, Jean­ne D´Arc Nian­do, Grăce Tala und Sei­ba­ny Salif Trao­re – so ihre ursprüng­li­chen Namen –  sind Meister:innen ihres Fachs und von Kör­per-beherr­schung. In den immer wie­der auf­plop­pen­den Solos kön­nen sie ihre tän­ze­ri­sche Indi­vi­dua­li­tät zei­gen.   Die über­bor­den­de Ener­gie, die sie aus­strah­len, wur­de im Nu vom Fes­ti­val-Publi­kum aufgesogen.

Anne Nguy­ens Bezie­hung zu Afri­ka ent­wi­ckel­te sich über meh­re­re Etap­pen. 2003 lern­te sie die Demo­kra­ti­sche Repu­blik Kon­go ken­nen. 2004 und 2008 war sie wie­der in  Kin­sha­sa, um jun­ge urba­ne Tän­zer aus­zu­bil­den und ihre Arbeit zu prä­sen­tie­ren. Außer­dem betei­lig­te sie sich an Ent­wick­lungs-initia­ti­ven in den Berei­chen Kul­tur und Bil­dung, sowohl in fran­zö­si­schen Arbei­ter­vier­teln von Cham­pi­gny-sur-Mar­ne als auch in Kama­té in Benin.

Die Cho­reo­gra­fin war zum ers­ten Mal bei den Pots­da­mer Tanz­ta­gen zu Gast. So wie sie die­se Trup­pe aus Einzelkämpfer:innen zusam­men­schweiß­te, und wie sie moder­nen urba­nen Tanz mit tra­di­tio­nel­len afri­ka­ni­schen Ele­men­ten wie z. B. acpel­la-Gesang ver­band, kann man nur hof­fen, dass sich dar­aus eine regel­mä­ßi­ge Zusam­men­ar­beit entwickelt.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die Arbeit an die­sem Arti­kel wur­de "geför­dert durch die Beauf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Medi­en im Pro­gramm NEUSTART KULTUR, Hilfs­pro­gramm DIS-TANZEN des Dach­ver­band Tanz Deutsch­land."

06. Juni 2023 von Textur-Buero
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