Blauäugige Utopie
Die Lösung der großen Probleme liegt im Kleinen. Das mag man gern glauben, wenn man Valentin Thurns Film "10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?" gesehen hat.
Doch auch in der Diskussion, die im Filmmuseum im Anschluss an die Filmvorführung stattfand, merkte man schnell, dass diese Frage mit unserem eurozentristischen Blick gar nicht zu beantworten ist.
Prof. Harald Welzer sagte, dass wir hierzu- lande keinen Leidensdruck haben und anstelle dessen (noch) gestalten können. Und das sei ein Privileg. Wie wahr, denn Solawis, Biohöfe und ‑läden, Regionalwährungen und ‑geschäfte werden doch zuallererst von Menschen genutzt, die "genug" haben.
Geringverdiener*innen und Hartz-IV-Empfän- ger*innen setzen da (zumeist) andere Prio- ritäten. Und die große Masse der hiesigen Konsumenten auch! Da ist es müßig und (zu) leicht immer wieder an deren Vernunft zu appellieren. Und achtzig Millionen Deutsche sind wirklich eine verschwindende Minderheit im Weltmaßstab – beispielsweise beim viel zu hohen Fleischkonsum.
Sondern es muss endlich global – ähnlich wie beim Klima – gehandelt werden, um wirklich zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 satt zu kriegen. Doch daran ist das kapitalistische System nicht interessiert, denn solange die industrielle Landwirtschaft Profit abwirft (Filmzitat), ist sie nachhaltig.
Und da machen dann die vielen ermutigenden Beispiele wie die "Essbaren Städte" oder die indischen Samenbänke in weiblicher Hand das Herz zwar wunderbar warm – doch angesichts der Probleme, die vor uns stehen, sind sie noch nicht einmal wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Weil Valentin Thurns Film auch an keiner Stelle anspricht, wie die industrielle Landwirtschaft seit einhundertfünfzig Jahren Böden nachhaltig zerstört, kann man ihn noch nicht mal als schöne Utopie genießen, sondern wird wütend bei so viel gutmenschelnder Blauäugigkeit.
Und man wünscht sich, dass noch mehr Armutsflüchtlinge nach Europa kommen, damit bei den Verursacher*innen vieler globaler Probleme endlich (Leidens)Druck und daraus Widerstand und Veränderungswillen entsteht.
Astrid Priebs-Tröger