Blick unter die Oberflächen

"Lost in For­ma­ti­on" ist eine Tanz­thea­ter­pro­duk­ti­on des Pots­da­mer Künst­ler­kol­lek­tivs Kom­bi­nat, die kurz vor dem Aus­bruch der Coro­na-Pan­de­mie Ende 2019 in der fabrik urauf­ge­führt wur­de. 2023 adap­tier­ten die Cho­reo­gra­fin Pau­la E. Paul und der Medi­en­künst­ler Sir­ko Knüp­fer ihre eige­ne Tanz­thea­ter­pro­duk­ti­on für die Filmleinwand.

Der jetzt fer­tig­ge­stell­te essay­is­ti­sche Kurz­film – ohne gespro­che­ne Spra­che – wird auf dem momen­tan statt­fin­den­den  Made in Pots­dam-Fes­ti­val präsentiert.

Im inter­me­dia­len Büh­nen­stück, das von zwei Tänzer:innen – Risa Koji­ma und David Pal­lant  – par­al­lel mit zahl­rei­chen Film­aus­schnit­ten live per­formt wur­de, wur­den das Zusam­men­kom­men von Men­schen in (Groß-)Gruppen sowie Kul­tur­prak­ti­ken und Ritua­le aus unter­schied­li­chen Welt­ge­gen­den und ver­schie­de­nen Kon­tex­ten  wie Mili­tär, Frei­zeit oder Sport neben­ein­an­der gestellt. "Lost in For­ma­ti­on" war dar­in eine For­schungs­rei­se in die Welt cho­reo­gra­fisch agie­ren­der Grup­pen und der ritua­li­sier­ten Bil­der, die sie erzeugen.

Man konn­te sehen, wie Gepflo­gen­hei­ten des Frei­zeit­ver­hal­tens oder fest­li­che Para­den, sport­li­che Groß­auf­zü­ge und poli­ti­sche Demons­tra­tio­nen inter­es­san­te und kurio­se kör­per­sprach­li­che For­mu­lie­run­gen fin­den und durch Wie­der­ho­lung zum Ritu­al wer­den. Aber auch der mili­tä­ri­sche Bereich, der (zu die­ser Zeit) kei­nen Krieg (in Euro­pa) führ­te, son­dern auf­wen­di­ge Shows mach­te, trieb dar­in Stil­blü­ten exal­tier­ter Per­for­manz.

Dass "Lost in For­ma­ti­on" jetzt als gleich­na­mi­ger Film erscheint, hat auch damit zu tun, dass es als Thea­ter­stück wäh­rend der Pan­de­mie nur wenig bezie­hungs­wei­se vor sehr aus­ge­dünn­tem Publi­kum gezeigt wer­den konn­te. Auch dar­an wird anhand von lee­ren Sälen und Abstands­re­geln im Film erinnert.

Weil sich das Grup­pen­ver­hal­ten und der Blick auf Grup­pen bezie­hungs­wei­se Men­schen­men­gen wäh­rend und nach der Pan­de­mie ver­än­dert haben, woll­ten Pau­la E. Paul und Sir­ko Knüp­fer eige­ne Refle­xio­nen dar­über anstel­len. Sie zei­gen im Film dabei sowohl pas­si­ves Mit­läu­fer­tum als auch lust­vol­les Agie­ren und krea­ti­ves Auf­ge­ho­ben­sein in kol­lek­ti­ven Strukturen.

Ihr 30-minü­ti­ger Film­essay geht dabei auch der Fra­ge der Ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen nach, ob und wie er in Grup­pen agiert.

"Lost in for­ma­ti­on" ist bei alle­dem sowohl ein sehr ver­dich­te­tes Making of der Thea­ter­pro­duk­ti­on als auch ein eigen­stän­di­ges Kunst­werk; das bedeu­tet, dass man die zugrun­de­lie­gen­de Insze­nie­rung nicht gese­hen haben muss, um den Film­essay zu verstehen.

Mit­hil­fe von Mit­schnit­ten von den Dreh­ar­bei­ten, Pro­ben und Vor­stel­lun­gen des Tanz­stü­ckes bedient sich der Film frei von Sor­ge um räum­li­che oder zeit­li­che Kon­ti­nui­tät. So wird rück­wir­kend ein Blick unter die zur Pre­mie­re prä­sen­tier­ten ästhe­tisch ver­dich­te­ten Ober­flä­chen, die dem Publi­kum gezeigt wer­den, gewagt.

Man fin­det sich in den kah­len Pro­be­räu­men des Anfangs und zwi­schen den betei­lig­ten Gewer­ken wie­der, kann Licht- und Ton­tech­ni­kern und Foto­gra­fen in kur­zen Momen­ten ihrer Arbeit über die Schul­ter bli­cken. Und immer wie­der erle­ben, wie eine Grup­pe von sehr unter­schied­li­chen Betei­lig­ten zusam­men­ar­bei­tet. Und man kann erah­nen, wie viel Prä­zi­si­on und Kon­zen­tra­ti­on es kos­tet, das schließ­lich öffent­lich gezeig­te Resul­tat zu erarbeiten.

Und nicht zuletzt geht es, wie schon im Stück, um den Rah­men, durch den wir gegen­wär­tig die Welt betrach­ten. Im Film tau­chen mehr­mals Rah­men in Form von Smart­phone-Dis­plays auf, die heut­zu­ta­ge all­ge­gen­wär­tig sind. Wir selbst sind dabei per­ma­nent Kon­su­men­ten als auch Pro­du­zen­ten von Bil­dern, mit denen man sich der media­len Über­flu­tung hin­ge­ben oder in ihr ver­lie­ren kann.

"Lost in For­ma­ti­on" zeigt, dass bei­na­he alles "Cho­reo­gra­fie" bezie­hungs­wei­se "Bild" ist und wie sehr wir alle bewusst oder unbe­wusst davon beein­flusst sind. Egal, ob es sich dabei um beten­de Mus­li­me, Teilnehmer:innen einer Bun­des­tag­sit­zung oder des Wie­ner Opern­balls handelt.

Astrid Priebs-Trö­ger

27. Januar 2024 von Textur-Buero
Kategorien: Film, Performance | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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