Der Geist des Ortes
Zerborsten. Verwunschen. Menschenleer. Ein wenig wie die verbotene Zone in Tarkowskis berühmtem SF-Film "Stalker" wirkt das ehemalige Kasernengelände im Potsdamer Ortsteil Krampnitz immer noch.
Auch wenn inzwischen feststeht, dass aus den früheren Wehrmachtskasernen und der späteren autarken sowjetischen Armeestadt nach drei Jahrzehnten Leerstand Potsdams nachhaltigstes und neuestes Stadtquartier entstehen soll.
Am ersten Septemberwochenende zum Tag der Offenen Tür hat Anja Koziks Oxymoron Dance Company den Geist dieses Ortes in der Performance "Tanz weit draußen – mittendrin" tänzerisch erspürt und abgebildet. Sieben junge Frauen, die weder den zweiten Weltkrieg noch die DDR-Zeit erlebt haben, tanzten zu Minimalmusic zwischen Vergangenheit und Gegenwart und stellten infolgedessen auch Fragen an die Zukunft.
Am Offiziershaus mit der Nummer 122 begann die 90-minütige Performance. Aus dem hinter hohen Tannen und Eichen stehenden, bis hin zum Schornstein zerborstenen zweistöckigen Haus erklangen Sphärenklänge. Unten rechts aus einem zerbrochenen Loggia-Fenster schob sich langsam ein zarter Arm in die Höhe. Eine junge Frau, ganz in weiß gekleidet mit langem schwarzen Haar bewegte sich wie ein feenhafter Geist mutterseelenallein in diesem ehemaligen Wohnraum und entschwand nach einer Weile wieder im Inneren des unwirtlichen Hauses.
Von dort aus ging es in Richtung des hochaufragenden dunklen Turms des Militärgeländes, das auch schon als Filmkulisse diente. Vor einer Tafel mit der kyrillischen Aufschrift "Im Garnisonsoffiziersklub" bewegte sich eine weitere Performerin zu klackenden Maschinenklängen, jedoch mechanisch und wie aufgezogen.
Bis eine weitere Frau mit Kopftuch und Eimer langsam zu einer nahegelegenen Ruine ging. Hier entstand eine der stärksten Szenen dieser intensiven Performance. Als die Junge auf einem schmalen Grat und dem sehr unebenen Untergrund zu tanzen versuchte. Kann vor diesen Ruinen, diesen architektonischen und geschichtlichen Überbleibseln eigentlich so etwas wie "Schönheit" und/oder neue Größe entstehen? Oder braucht man/sie ihre ganze Kraft dafür, den Boden unter den Füßen zu behalten und sich irgendwie auszubalancieren?
Um Balance ging es auch eine Station weiter. Diese Tänzerin arbeitete mit einer hölzernen Kabelrolle, auf der sie wie auf einem Pferd saß und wirkte in ihrem schwarzen Anzug wie eine moderne Soldatin, die in dieser, über die Zeiten wirkenden Situation letzten Endes auch zur weißen Fahne griff.
An der schmalen Seite des riesigen Offizierskasinos stand eine weitere Tänzerin und wendete dem Publikum ihren Rücken zu. Die Türen und Fenster dieses repräsentativen Gebäudes sind schon lange verriegelt und verrammelt; diese Akteurin, die mit ihrer goldenen Augenmaske und der Federkrone an ein Revuegirl der Goldenen Zwanziger erinnerte, hat längst keinen Zutritt mehr. Doch ihr Auftritt auf den mit Unkraut überwachsenen Stufen des ehemaligen Kulturtempels zeigte eindrücklich, welche Rolle (Unterhaltungs-)Kultur beim Erhalt des jeweiligen Systems spielte und spielt.
Im Innern des imposanten Casinos traten zwei weitere Tänzerinnen auf. Hier ist der Gegensatz zwischen dem (militärisch) Männlichen und dem Weiblichen – in Form von Natürlichkeit und Fließen – ungemein körperlich zu spüren. In dem etwa hundert Quadratmeter großen Innenhof mit versiegter Fontäne vermag nur das Tanzen der jungen Frau und die Erinnerung an das Fließen des Wassers die bedrückende Enge dieses Raumes unter freiem Himmel aufzubrechen, der durch die sprießenden Robinien langsam in eine Oase, die er im eigentlichen Sinne wahrscheinlich nie war, verwandelt wird.
Die letzte Station war ein halbdunkler, ehemals sehr repräsentativer Raum mit übermannshohen dunklen Holzvertäfelungen und gold-blauer Deckenbemalung. Die, die hier tanzte, erinnerte in ihren Bewegungen an eine versklavte Frau. Es dauerte lange, bis sie sich aufrichtete, und sich dann auf dem Fensterbrett zu voller Größe streckte. Die Fenster hinter ihr waren allerdings zugemauert und bilden wiederum nur einen neuen Wall.
Eindrückliche, metaphorisch aufgeladene Bilder, signifikante Unterschiede zwischen Männlichem und Weiblichem wurden spürbar an einem Ort, der mit seiner überwiegend militärischen Geschichte – auch im Angesicht der gerade drohenden Weltkriegsgefahr – nicht einfach überschrieben werden kann und sollte. Und: Frauen sollten unbedingt einbezogen werden, um die hier gespeicherten Energien zu erspüren und auszugleichen.
Danke an die 7 Tänzerinnen an 7 Orten: Elena Martello, Veronica Parlagreco, Alessia D’Isanto, Xenia Argiri, Ivi Riga, Silvia Remigio und Veronica Lillo, die dafür Wegbereiterinnen waren.
Astrid Priebs-Tröger