Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Ganz zu Anfang ist nur Was­ser zu sehen. Sie­ben Spie­ler: innen der inter­na­tio­na­len Wan­der­thea­ter­grup­pe Ton und Kir­schen erzeug­ten mit einem gro­ßen hel­len Tuch zuerst sanf­te Wel­len und schließ­lich auch einen veri­ta­blen Sturm, bei dem ein Schiff mit zwei Segeln in den haus­ho­hen Flu­ten verschwand.

Die­ses Bild könn­te am Anfang bei­der Geschich­ten ste­hen, die in Shake­speares "Sturm" mit­ein­an­der ver­bun­den sind und erzählt wer­den. Die eine ist die der Ver­trei­bung des mai­län­di­schen Her­zogs Pro­spe­ro und sei­ne Lan­dung auf einer ein­sa­men Insel.  Und die ande­re ist die sei­ner Rache an den­je­ni­gen, die ihn und sei­ne Toch­ter Miran­da vor zwölf Jah­ren um Rang, Namen und welt­li­che Macht brachten.

Der Sturm, Foto: Jean-Pierre Estournet

Jetzt, nach dem Sturm, den Pro­spe­ro mit­hil­fe sei­nes Luft­geis­tes Ari­el ent­fach­te, ist nur er zu sehen: Rob Wyn Jones ist ein  gro­ßer statt­li­cher Mann mit inzwi­schen wei­ßen Haa­ren, einem könig­lich-roten Umhang und einem reich­ver­zier­ten Stock als Zei­chen sei­ner Macht. Doch wofür braucht er die noch?

Außer ihm leben nur sei­ne ein­fühl­sa­me Toch­ter, die von Dai­sy Wat­kiss als lebens­gro­ße Mario­net­te geführt und von Mar­ga­re­te Biereye mit sanf­ter Stim­me und eben­sol­cher See­le ver­se­hen wird, und die Geis­ter Ari­el  und Cali­ban auf dem para­die­si­schen Eiland.

Der Sturm, Foto: Jean-Pierre Estournet

Und Pro­spe­ro könn­te sich ent­span­nen und sei­nen Lieb­lings­tä­tig­kei­ten, dem Lesen und der Magie, nach­ge­hen. Doch schnell wird klar, dass er auch hier fern­ab jeder mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­on deren Herr­schafts- und Knech­tungs­ver­hält­nis­se repro­du­ziert hat. Selbst sei­ner Toch­ter gegen­über muss er immer wie­der demons­trie­ren, dass auch zwi­schen ihnen eine kla­re Hier­ar­chie besteht.

Und: an die­sem Tag, an dem der Sturm durch Ari­el ent­facht wird, um Pro­spe­ros frü­he­re Wider­sa­cher auf sei­ner Insel stran­den zu las­sen, zeigt sich, dass Pro­spe­ro sein Trau­ma nie ver­wun­den und vor allem sei­ne frü­he­ren Kon­di­tio­nie­run­gen bei­be­hal­ten hat.

Der Sturm, Foto: Jean-Pierre Estournet

Das schnürt einem in die­ser inten­si­ven Insze­nie­rung bei­na­he die Luft ab. Und nur Ari­el, den Julie Biereye unge­mein kraft­voll im grün-sei­de­nen Kleid und mit wun­der­ba­rem Gesang ver­kör­pert, schafft es, ihm eben­bür­tig zu sein. Dafür hat ihr David John­s­ton eini­ge sehr poe­ti­sche Lie­der kom­po­niert, die Pro­spe­ro vor allem eine lyri­sche Rei­bungs­flä­che bieten.

Die Gemein­schafts­in­sze­nie­rung, die auf der Fas­sung der letz­ten Thea­ter­pro­duk­ti­on von Peter Brooks "Tem­pest Pro­ject" basiert, wird, für Ton und Kir­schen eher unge­wöhn­lich, episch breit erzählt. Da ist die Lie­be zu Shake­speares Tex­ten, sei­ner Spra­che, der die Wan­der­thea­ter­trup­pe seit mehr als drei Jahr­zehn­ten ver­bun­den ist, ein­dring­lich zu spüren. 

Auch wenn nicht immer alle der inter­na­tio­na­len Spieler:innen gleich gut zu ver­ste­hen sind. Doch ihr beseel­tes und viel­schich­ti­ges Spiel sowie die hand­ge­mach­te musi­ka­li­sche Live-Unter­ma­lung las­sen einen in die­ses letz­te Shake­speare-Stück gera­de­zu magisch eintauchen.

Wun­der­bar und kon­se­quent ist auch die Idee, die bei­den Königs­kin­der Miran­da und Fer­di­nand, der der Sohn des Königs von Nea­pel ist, als Mario­net­ten zu ver­kör­pern. Letz­te­rem ver­leiht David Gar­lick die Stim­me und gebaut bezie­hungs­wei­se gespielt wur­den sie von Dai­sy Wat­kiss und Nel­son Leon.

Und letzt­lich sind sie es, die Pup­pen, die an den Fäden ande­rer hän­gen, die es schaf­fen, ech­tes Mit­ge­fühl und auch Lie­be (für­ein­an­der) zu ent­wi­ckeln. Hier­ar­chien zu über­win­den, so scheint es auch in die­ser Insze­nie­rung auf, ist manch­mal auch durch die Wir­kung von Alko­hol oder von Humor mög­lich. Was der clow­nes­ke Trin­co­lo (David John­s­ton,) der betrun­ke­ne Ste­pha­no (David Gar­lick) und der trieb­haf­te Cali­ban (Domi­ni­que Prié) in ihren derb-komi­schen Auf­trit­ten beweisen.

Trotz allem bleibt der "Sturm" ein Rät­sel. In dem sich die Suche nach Rache nahe­zu unmerk­lich mit der nach Frie­den und schließ­lich nach Frei­heit ver­bin­det. Doch man kann sich auch (immer wie­der) fra­gen, war­um die­ses Los­las­sen angeb­lich erst am Lebens­en­de und nicht schon vor­her mög­lich sein sollte.

Dan­ke Shake­speare, sag­te David John­s­ton nach dem Pre­mie­ren­ap­plaus, der gemein­sam mit Mar­ga­re­te Biereye seit einem hal­ben Jahr­hun­dert auf der Büh­ne steht. Nun, bei Ton und Kir­schen zum drit­ten Mal mit einem Shake­speare-Text, des­sen Gedan­ken kon­ge­ni­al in unse­re kri­sen­haf­ten Gesell­schaf­ten pas­sen.  Und der zeigt, wie gera­de die­se Zei­ten auch die Chan­ce bie­ten, "Altes", "Har­tes" end­lich abzu­strei­fen und genau wie Was­ser jeder­zeit ins Flie­ßen zu kommen.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die­ser Text erschien zuerst in den Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten vom 22.09.2023

24. September 2023 von Textur-Buero
Kategorien: Allgemein, Theater | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert