Ende der Funkstille
Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren habe ich begonnen, diesen Blog zu schreiben. Seine ersten Texte befassten sich mit den Potsdamer Tanztagen, deren 30. Jubiläum in diesem Jahr wegen "Corona" eiskalt ins Wasser fällt.
Zwar hat die fabrik angekündigt, ein "29einhalb"-Festival im August 2020 auf die Beine zu stellen und das "30." – wie für diesen Mai geplant – im nächsten Jahr zu feiern, doch bis dahin fließt noch viel blaugraues Wasser die Havel hinunter, wie man so schön sagt … und weitere C‑Wellen sind ja von den Virologen mindestens für den Herbst auch schon angekündigt.
Wie wird es also weitergehen mit der (Potsdamer) freien Kultur? Dass sie jetzt überall "zugesperrt" ist, kann nicht auf Dauer so bleiben und dass sie sich munter ins World Wide Web streamt, auch nicht (nur).
Ich vermisse schmerzlich eine Art "Widerstand" der freien "Kulturträger*innen", denn was sie vor drei Jahrzehnten mit viel Engagement und wenig Geld in den Wendewirren auf die Beine stellten und einem kleinen, aber interessierten Publikum beispielsweise in einer besetzten Fabrik in der Gutenbergstraße zeigten, war nicht am damaligen Mainstream orientiert.
Wo bleibt Eure Kreativität, Kunst und/oder Politisches unter freiem Himmel zu zeigen, wie es beispielsweise die Demonstrationen der Potsdamer Seebrücke , oder das Anstehen beim Bäcker als politische Aktion oder vor kurzem von FridaysForFuture Potsdam auf dem Alten Markt vormachten?
#Schlangestehen für Brötchen am #Ostersonntag in #Potsdam. Offenbar zeigen die Bürger*innen sich #solidarisch mit den regionalen #Bäckereien und nahmen die lange Wartezeit in Kauf. Gesprächsthema war immer wieder die Lage in den Flüchtlingslagern auf Lesbos. pic.twitter.com/gh2o74u7IG
— DIE aNDERE (@andere_die) April 12, 2020
Könnt Ihr Euch nicht mit politischen Akteuren der Stadt zusammenschließen und öffentlich zeigen, dass da, wo ihr sonst seid, jetzt wirklich eine Leerstelle ist? Oder gewöhnen sich die Leute – unter den (inzwischen gelockerten) Corona-Auflagen daran – dass sie zwar weiter fressen und shoppen und in den Baumarkt können – aber "Kultur" eben nicht "systemrelevant" ist? Die Gastwirte haben ja bespielsweise auch den Alten Markt gekapert und können jetzt weitermachen …
Bitte, bitte lasst Euch etwas einfallen, auch, oder gerade, weil "Kurzarbeit" im gesamten System angesagt ist. Warum bleiben die vielen Künstler*innen der Schiffbauergasse gerade jetzt so unsichtbar und fluten beispielsweise nicht mit neuen und der Situation angepassten Angeboten den StadtKanal in der Yorkstraße, ganz so wie es "Localize" einst vorgemacht hat?
Die Zuschauer*innen müssten oben/draußen bleiben, würden aber sehen, dass es weitergeht. Man könnte auch auf Filmleinwänden unter freiem Himmel Aufzeichnungen von früheren Inszenierungen/Festivals zeigen oder Künstler*innen zeigen/berichten lassen, was sie jetzt gerade tun …
Oder mir fallen die vielfältigen Videoinstallationen mithilfe von Autos ein, die sonst während der Tanztage oder des Unidram-Festivals im Schirrhof und anderswo gezeigt wurden. Oder ist das alles "kalter Kaffee", den ohnehin niemand sehen will?
Doch wenn inzwischen Ausstellungen z. B. im KunstRaum oder im SansTitre wieder geöffnet werden, können daneben/dazwischen auch andere Freiluft-Angebote gemacht werden, die diese ergänzen.
Wichtig ist doch gerade jetzt, dass Kultur Stadtgespräch bleibt, dass ihre Adressat*innen immer mal wieder "Post" von den Macher*innen kriegen, damit beider Herz und Seelen gewärmt und Widerstandskräfte gestärkt werden. Und schließlich geht es ja auch darum, gemeinsam zu überlegen, wie es in den Zeiten nach "C" in unserer Gesellschaft weitergehen soll. Einfach wie gehabt oder endlich auf der Suche nach neuen gesellschaftlichen Entwürfen?
Astrid Priebs-Tröger
Mein Text über das 25. fabrik-Jubiläum 2015 ist hier nachzulesen: