Gen Osten
Auf die Frage, was genau ihn immer wieder in den Osten Europas zieht, hat der Berliner Fotograf Daniel Graefen keine schnelle Antwort parat. Fest steht nur, dass er seit 2006 insgesamt acht Mal in der Ukraine war und dabei insgesamt 26.000 km mit dem Motorrad zurückgelegt hat.
33 exemplarische Fotos aller seiner Reisen bis 2018 auf der ca. 2.500 km langen Strecke von Berlin nach Karschevitoye, das sich 100 km östlich von Wolgograd befindet, sind jetzt als dritter Teil des Ukraine-Russland-Fotoprojektes, das im Sommer mit ukrainischen Fotografinnen und Fotos von Frank Gaudlitz begann, in der Potsdamer ae-Galerie zu sehen.
An einer Galeriewand hängt eine große Karte mit seiner Reiseroute, die von Gdansk, Kaliningrad, Pskow und Smolensk, über die westliche Ukraine, nach Kiew und Odessa, nach Charkow und die östliche Ukraine bis nach Karschevitoye führte.
Die Fotoreise beginnt indes am sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow und sie endet wiederum in Deutschland, mit einem Foto aus der ehemaligen sowjetischen Panzerkaserne Forst Zinna bei Jüterbog, gut 50 Kilometer südlich der deutschen Hauptstadt.
Daniel Graefen hat vor allem (Kriegs-) Denkmäler, Wohnhäuser in Stadt und Land, repräsentative öffentliche Gebäude, Flusslandschaften, nur wenige Menschen, viel Weite, aber auch Armut, Verfall und Ursprünglichkeit fotografiert.
Auffällig auf seinen Fotos ist, wie sichtbar nach wie vor die steingewordenen Erinnerungen an den 2. Weltkrieg, den sogenannten Großen Vaterländischen Krieg der ehemaligen Sowjetunion, zu der die Ukraine bis 1991 gehörte, sind.
Doch Daniel Graefen erzählt, dass sich dies in der Ukraine seit 2014 zu ändern beginnt. Nicht nur Lenindenkmäler wurden geschliffen, Straßen umbenannt, sondern auch Kriegsdenkmäler mit neuen Daten, nämlich 1939–1945, versehen.
Betrachtet man die vielfältigen Aufnahmen, fällt immer wieder ins Auge, wie wenig man selbst von dem größten Land Europas weiß. Vor allem der Zeitraum der sogenannten Transformation seit 1991 ist stark unterbelichtet.
In Graefens Ausstellung sind auch zwei Fotos von Orten des Maidan-Aufstandes von 2014 zu sehen und sie sind wie jedes andere Foto der Exposition auch beschriftet und zudem noch mit QR-Codes versehen, über die man per Handy noch mehr Informationen bekommen oder bei der Kiewer "Mutter Heimat" auch Soldatenliedern lauschen kann. Die Kommentare ordnen das Gesehene sowohl räumlich als auch zeitlich ein.
Diese Multimedialität setzt sich auch im Untergeschoss der ae-Galerie fort. Dort hängen Fotos von Porträtierten, die Daniel Graefen während seiner Ukrainereise 2015 gemeinsam mit Elisabeth Hronek auch interviewte und man kann, wenn man sich nicht die dazu gehörige Broschüre kauft, dort Auszüge aus den Interviews über Kopfhörer anhören.
Das eröffnet eine weitere Dimension zu den ohnehin schon aussagekräftigen Fotos, auf denen letztendlich die Faszination des Fotografen für das osteuropäische Land eindringlich sichtbar wird.
Neben der ungeheuren Weite des Landes ist dies auch die faszinierend andere Kultur, ihr scheinbares aus der Zeit gefallen Sein sowie die nicht abgeschlossenen Transformationsprozesse. Die bis heute sehr pur zeigen, wie es vor drei Jahrzehnten z. B. auch in Ostdeutschland aussah, bevor der wiederkehrende Kapitalismus die wenigen Jahrzehnte des Sozialismus nicht nur architektonisch zu überformen und zu nivellieren begann.
Astrid Priebs-Tröger
Die Ausstellung ist bis zum 5. November in der ae-Galerie zu sehen, Mittwoch bis Freitag von 15–19 Uhr, Samstag von 12–16 Uhr. Die Galerie ist vom 1. bis 8. Oktober geschlossen.