Idylle und Grauen
Grau, Braun und Dunkelgrün sind die vorherrschenden Farben in der lakonisch mit "Schade, Mühe" überschriebenen Doppelausstellung, die zurzeit im Potsdamer KunstRaum zu sehen ist.
Und die beides zugleich ist: vorwiegend dunkel und dabei sehr erhellend. Und die zudem noch über ein Jahrhundert deutscher Geschichte in den Blick nimmt und diesen Bezug bis ins Private spiegelt.
Andreas Mühe ist ein renommierter Fotograf und Titus Schade war Meisterschüler von Neo Rauch. Beide sind um die vierzig, kennen sich und haben noch nie zusammen ausgestellt. Kurator Mike Geßner hat ihre großartig korrespondierenden Bildwelten im KunstRaum kongenial miteinander verknüpft.
Im Entree hängen ausschließlich Fotos von Andreas Mühe, die sehr deutsche Topi in Beziehung setzen: Wald, Weihnachten und National- sozialismus.
Drei riesige quadratische Fotografien lassen die Besucher:innen eintauchen in den seit der deutschen Romantik poetisch und/oder religiös aufgeladenen Erfahrungsraum Wald. Doch die kleine Menschengruppe, die bei Mühe zu sehen ist, und die nur aus Frauen und Kindern besteht, praktiziert nicht das gegenwärtig gehypte "Waldbaden", sondern sucht ein Schlupfloch in der sogenannten grünen Grenze.
Den "Fluchtbildern" gegenüber hängen 38 einzelne Fotos von Weihnachtsbäumen, die der Fotograf zwischen 1979 bis 20216 datiert hat, und die das Symbol für die höchste aller deutschen Festlichkeiten zeigen, jedoch ohne die familiäre Gruppe, die sich dort eigentlich trifft. Komplettiert wird das alles mit Detailbildern aus dem Obersalzberger Berghof, der als Wiege des bayrischen Tourismus gilt und seit 1936 Adolf Hitlers Zweitresidenz war.
Ein ähnliches Spannungsfeld findet sich auch im zweiten Ausstellungsraum mit der gläsernen Front. Hier hängen Schades Gemälde mit Titeln wie "Die Kaserne", "Das große Amt" oder "Die Laderampe" und sie zeigen eine vorwiegend grau-braune, kantig-kafkaeske Zweckarchitektur, die mit drei pittoresken Fachwerkhäusern korrespondiert.
Doch diese sind nicht in eine idyllische Landschaft eingebettet, sondern man kann sehen, dass es nachgebaute Modelle sind, die auf einem Modelltisch stehen. Demgegenüber hängt eine weitere Mühe-Fotografie – das Jagdschloss "Hubertusstock", das bis zur Wende Honeckers bevorzugte Jagdresidenz war und darüber hinaus eine lange Geschichte als solche aufzuweisen hat.
Uniformität, Jagd und Männlichkeit sind dann auch weitere Stereotype, die in den Bildern und Fotos in zwei weiteren Räumen zu sehen sind. Besonders bemerkenswert sind Mühes "Wandlitz"-Fotos, die 2011 entstanden, und die über die weitgehend uniforme Architektur die Konformität und Kleinkariertheit der ehemaligen DDR-Staatsführung zeigen. Schades Gegenstück ist eine gemalte Setzkastenarchitektur, die mehrere Baustile in sich in Beziehung setzt.
Während der Pandemie entstand 2021 die Serie "Biorobots", in der Titus Schade Männer in improvisierter Schutzkleidung – die an Tschernobyl erinnert – zeigt, die in ansonsten menschenleeren, anscheinend kontaminierten Landschaften für Ordnung sorgen und auch wieder beginnen, einzelne Bäume zu pflanzen.
In der beeindruckenden Exposition ist alles ist mit allem verknüpft und das "Eigentliche" meist nicht zu sehen. Es stellen sich beim Betrachten fatale Kontinuitäten her, da (Zivilisations-) Brüche verdrängt wurden und als "Gespenster" immer wieder durchs Hintertürchen in die Gegenwart kommen. "Schade, Mühe" ist eine intensive Gratwanderung durch die Gegensatzpaare Idylle/Grauen und Utopie/Dystopie.
Astrid Priebs-Tröger