Idylle und Grauen

Grau, Braun und Dun­kel­grün sind die vor­herr­schen­den Far­ben in der lako­nisch mit "Scha­de, Mühe" über­schrie­be­nen Dop­pel­aus­stel­lung, die zur­zeit im Pots­da­mer Kunst­Raum zu sehen ist.

Und die bei­des zugleich ist: vor­wie­gend dun­kel und dabei sehr erhel­lend. Und die zudem noch über ein Jahr­hun­dert deut­scher Geschich­te in den Blick nimmt und die­sen Bezug bis ins Pri­va­te spiegelt.

Titus Scha­de, Drei Fach­werk­häu­ser, 2011/Repro APT

Andre­as Mühe ist ein renom­mier­ter Foto­graf und Titus Scha­de war Meis­ter­schü­ler von Neo Rauch. Bei­de sind um die vier­zig, ken­nen sich und haben noch nie zusam­men aus­ge­stellt. Kura­tor Mike Geß­ner hat ihre groß­ar­tig kor­re­spon­die­ren­den Bild­wel­ten im Kunst­Raum kon­ge­ni­al mit­ein­an­der verknüpft.

Im Entree hän­gen aus­schließ­lich Fotos von Andre­as Mühe, die sehr deut­sche Topi in Bezie­hung set­zen: Wald, Weih­nach­ten und Natio­nal- sozialismus.

Drei rie­si­ge qua­dra­ti­sche Foto­gra­fien las­sen die Besucher:innen ein­tau­chen in den seit der deut­schen Roman­tik poe­tisch und/oder reli­gi­ös auf­ge­la­de­nen Erfah­rungs­raum Wald. Doch die klei­ne Men­schen­grup­pe, die bei Mühe zu sehen ist, und die nur aus Frau­en und Kin­dern besteht, prak­ti­ziert nicht das gegen­wär­tig gehyp­te "Wald­ba­den", son­dern sucht ein Schlupf­loch in der soge­nann­ten grü­nen Grenze.

Andre­as Mühe, Wand­litz 2011, Repro APT

Den "Flucht­bil­dern" gegen­über hän­gen 38 ein­zel­ne Fotos von Weih­nachts­bäu­men, die der Foto­graf zwi­schen 1979 bis 20216 datiert hat, und die das Sym­bol für die höchs­te aller deut­schen Fest­lich­kei­ten zei­gen, jedoch ohne die fami­liä­re Grup­pe, die sich dort eigent­lich trifft. Kom­plet­tiert wird das alles mit Detail­bil­dern aus dem Ober­salz­ber­ger Berg­hof, der als Wie­ge des bay­ri­schen Tou­ris­mus gilt und seit 1936 Adolf Hit­lers Zweit­re­si­denz war.

Ein ähn­li­ches Span­nungs­feld fin­det sich auch im zwei­ten Aus­stel­lungs­raum mit der glä­ser­nen Front. Hier hän­gen Scha­des Gemäl­de mit Titeln wie "Die Kaser­ne", "Das gro­ße Amt" oder "Die Lade­ram­pe" und sie zei­gen eine vor­wie­gend grau-brau­ne, kan­tig-kaf­ka­es­ke Zweck­ar­chi­tek­tur, die mit drei pit­to­res­ken Fach­werk­häu­sern korrespondiert.

Doch die­se sind nicht in eine idyl­li­sche Land­schaft ein­ge­bet­tet, son­dern man kann sehen, dass es nach­ge­bau­te Model­le sind, die auf einem Modell­tisch ste­hen. Dem­ge­gen­über hängt eine wei­te­re Mühe-Foto­gra­fie – das Jagd­schloss "Huber­tus­stock", das bis zur Wen­de Hon­eckers bevor­zug­te Jagd­re­si­denz war und dar­über hin­aus eine lan­ge Geschich­te als sol­che auf­zu­wei­sen hat.

Titus Scha­de, Die Lade­ram­pe, 2010, Repro APT

Uni­for­mi­tät, Jagd und Männ­lich­keit sind dann auch wei­te­re Ste­reo­ty­pe, die in den Bil­dern und Fotos in zwei wei­te­ren Räu­men zu sehen sind. Beson­ders bemer­kens­wert sind Mühes "Wandlitz"-Fotos, die 2011 ent­stan­den, und die über die weit­ge­hend uni­for­me Archi­tek­tur die Kon­for­mi­tät und  Klein­ka­riert­heit der ehe­ma­li­gen DDR-Staats­füh­rung zei­gen. Scha­des Gegen­stück ist eine gemal­te Setz­kas­ten­ar­chi­tek­tur, die meh­re­re Bau­sti­le in sich in Bezie­hung setzt.

Wäh­rend der Pan­de­mie ent­stand 2021 die Serie "Bio­ro­bots", in der Titus Scha­de Män­ner in impro­vi­sier­ter Schutz­klei­dung – die an Tscher­no­byl erin­nert –  zeigt, die in ansons­ten men­schen­lee­ren, anschei­nend kon­ta­mi­nier­ten Land­schaf­ten für Ord­nung sor­gen und auch wie­der begin­nen, ein­zel­ne Bäu­me zu pflanzen.

In der beein­dru­cken­den Expo­si­ti­on ist alles ist mit allem ver­knüpft und das "Eigent­li­che" meist nicht zu sehen. Es stel­len sich beim Betrach­ten fata­le Kon­ti­nui­tä­ten her, da (Zivi­li­sa­ti­ons-) Brü­che ver­drängt wur­den und als "Gespens­ter" immer wie­der durchs Hin­ter­tür­chen in die Gegen­wart kom­men. "Scha­de, Mühe" ist eine inten­si­ve Grat­wan­de­rung durch die Gegen­satz­paa­re Idylle/Grauen und Utopie/Dystopie.

Astrid Priebs-Trö­ger

28. November 2022 von Textur-Buero
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