Lebensmittel: Tanz
Golde Grunske ist seit fast zwei Jahrzehnten in Cottbus beheimatet. Dort erforscht die Tänzerin und Choreografin im Spannungsfeld von Provinz und Metropole unter anderem, wie zeitgenössischer Tanz zur Auseinandersetzung mit dem Strukturwandel beitragen oder die Frage "Was bedeutet Heimat?" umkreisen kann.
Besonders wichtig ist der Choreografin, mit ihrer Kunst Menschen auch außerhalb von Theaterräumen zu erreichen und vor allem in gesellschaftlichen Krisenzeiten, wie sie seit 2015 zunehmen, zu berühren.
Im Spannungsfeld von Provinz und Metropole
Da müssen die Tänzer:innen ihrer Kompanie, die unter anderem aus Asien, Brasilien, Deutschland oder Griechenland stammen, mit ihr immer wieder durch die Lausitz reisen und auf öffentlichen Markt- oder Parkplätzen von Einkaufszentren in Spremberg, Guben oder Forst auftreten.
Und wenn sie dort Menschen, die eigentlich mit Tanz oder Theater wenig am Hut haben, bewegen kann, zuzusehen und danach noch mit ihnen ins Gespräch kommt, ist das für die offene 47-Jährige alle Mühe wert.
Mit ihrem Stück "In Zeiten wie diesen …" , das 2019 entstand und den Strukturwandel der Lausitz thematisiert aber auch die Themen Heimat und Flucht im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 berührt, passiert ihr das andauernd. Golde Grunske berichtet von älteren Frauen, die mit ihr über das Gesehene sprechen wollten und dabei in Tränen ausbrachen.
Strukturwandel und Flüchtlingskrisen
Der Tanz hat in ihnen etwas berührt, das mit Worten nicht auszudrücken ist, er legt den Zugang zu Gefühlen frei, die woanders oder durch andere bisher nicht berücksichtigt wurden. Auch eine andere ostdeutsche Problematik – das weitverbreitete Gefühl, mit der eigenen Sicht nicht gehört oder gesehen zu werden – wird durch ihre Kunst berührt.
Gemeinsam mit der Radiojournalistin Sophia Wetzke entstand eine Audiodokumentation, die den Gesprächen mit denen, die "In Zeiten wie diesen … " sahen, Raum gibt. "Egal, wie man seine Heimat verlässt, es ist immer brutal", wird dort zum Beispiel gesagt oder "Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl", so eine junge Geflüchtete, die hier inzwischen "gut vernetzt ist" und dauerhaft in Cottbus bleiben will.
"Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl …"
Es geht der Choreografin um dieses universelle Gefühl von Heimat, nicht nur um Flucht (erfahrungen). Grunske, die selbst aus Leipzig stammt, kam 2003 der Liebe wegen nach Cottbus. Ihr Mann fand hier eine Arbeitsstelle und die Familie mit damals einem und heute vier Kindern ihre neue Heimat.
2008 gründete die bis heute freischaffende Tänzerin ihre eigene tanzkompanie golde g. und seit 2009 betreibt sie außerdem die TanzWerkstatt Cottbus, in der neben Ballett vor allem zeitgenössischer Tanz für Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterrichtet wird.
Mit ihrer Kompanie und der TanzWerkstatt schlug Golde Grunske selbst erst richtig Wurzeln in der Lausitz-Region, denn vorher war sie als Tänzerin zwischen Cottbus, Berlin und Dresden unterwegs, was sie, wie sie sagt, auf Dauer wohl zerrieben hätte.
Ihre eigene Bodenhaftung, gepaart mit "think global, act local", ihre gedankliche Klarheit und die Lust an Improvisation zeichnen auch ihre Tanzstücke aus. Die sich auf das Wesentliche konzentrieren und auch immer wieder mit ostdeutscher Vergangenheit – wie beispielsweise dem Phänomen der Jugendwerkhöfe – auseinandersetzen.
Zeichenhaftes und Wesentliches
Golde Grunske tastet sich vor zu Stellen, an denen es heute noch wehtut und beschäftigt sich immer wieder mit Gefühlen wie Einsamkeit und Isolation, wie auch in ihrem neuesten Stück "con.takt.los", das während der Corona-Pandemie entstand und auf den Erfahrungen vor allem junger Menschen basiert.
Man ist erstaunt, mit wie wenigen zeichenhaften Mitteln sie dabei auskommt und wie intensiv die durch dadurch ausgelösten Gefühle sind. Wie die komponierte Tonspur in "con.takt.los", die die Tänzer:innen klaustrophobisch auf ihre harten Saiten spannt. Und sie schließlich wie Marionetten an unsichtbaren Fäden hängen lässt. Oder es braucht beispielsweise nur ein paar braune DDR-Kunstlederkoffer und die Fluchtthematik in "In Zeiten wie diesen …" erhält eine weit über die Gegenwart hinausreichende Dimension.
Seit ihrer Kompaniegründung in Cottbus suchte Golde Grunske auch mit freundlicher Hartnäckigkeit den Kontakt zur fabrik Potsdam, die als tänzerischer Leuchtturm weit ins Land Brandenburg hinausleuchtet.
Im Dezember 2020 ist nun endlich das Kooperationsprojekt mit fabrik moves Potsdam, DiR – Dance in Residence Brandenburg, gestartet. Darin fördern die fabrik Potsdam und die TanzWerkstatt Cottbus die Vernetzung der zeitgenössischen Tanzszene im Land Brandenburg.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, [Hilfsprogramm DIS-TANZEN/ tanz:digital/ DIS-TANZ-START] des Dachverband Tanz Deutschland."