Lob der Entschleunigung
Auch leere Theater haben eine besondere Anziehungskraft. Diese ist deutlich zu spüren, wenn man sich den Film "Kunstpause" vom Künstlerkollektiv KOMBINAT anschaut, der noch bis 20. Juni im Potsdamer KunstRaum zu sehen ist. In einem Corona konformen Zweisitzer-Kino, versteht sich.
Die Choreografin Paula E. Paul und der Medienkünstler Sirko Knüpfer hatten während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 die Idee, in die geschlossenen Potsdamer Theater zu gehen und dort Bilder des allgegenwärtigen Stillstandes zu filmen. Außerdem wollten sie einmal diejenigen ins Rampenlicht stellen, die sonst hinter den Kulissen maßgeblich daran mitwirken, dass das Gesamtkunstwerk Theater überhaupt zustande kommt.
Ihr jetzt 40-minütiger-Endlosloop beginnt mit einer skurrilen Szene: Ein junger schwarzgekleideter Mann liegt wie am Strand rücklinks auf einer Drehbühne, die Arme lässig unter dem Kopf verschränkt und man hat das Gefühl, er dreht von jetzt an Runde um Runde, solange, bis die Pandemie zu Ende ist und der quirlige Theateralltag mit seinem dicht getakteten Rhythmus wieder beginnt.
Und doch täuscht dieser erste Eindruck. Denn KOMBINAT gelingt es, mit den Techniker* innen, die in der fabrik, im Hans Otto Theater, dem Nikolaisaal, dem Theaterschiff, dem Treffpunkt Freizeit, dem T‑Werk, dem Schlosstheater und dem Waschhaus auch während des andauernden Kultur-Lockdowns vor Ort sind, in einen sowohl spannenden als auch verspielten Dialog zu treten.
Einerseits führen die Techniker*innen sehr bereitwillig die technischen Möglichkeiten ihrer Häuser vor, man gelangt als Zuschauer*in auf Schnürböden und in Materiallager, erlebt das imposante Auffahren eines Eisernen Vorhanges oder das Versenken von Zuschauerpodesten. Andererseits kann man auch dabei sein, wenn die 15 Protagonisten, darunter drei Frauen, ihre eigene kreative Ader – viele von ihnen sind auch Musiker*innen – zum Klingen bringen.
Wie Conrad Katzer, der Sänger der ProgRockband "Deliria" mit "Politik, Macht, Krieg" oder Janne Buschmann, die Beethovens "Pathetique" eigenwillig interpretiert. Oder Ralf Grüneberg, der unterschiedlich langen Gerüstrohren eine Tonfolge entlockt und auch Cikomo Paul, der auch bei dieser Gelegenheit zu den Sticks greift.
Sie tun das in "Kunstpause" auch ohne Publikum – einfach, weil es in der jetzt (scheinbar endlos) gedehnten Zeit möglich ist. Und sie, nachdem alles aufgeräumt, geordnet, repariert oder geputzt ist, ihre eigene Kreativität ausleben/füttern können. Es ist wunderbar, wie KOMBINAT aus über 80 Stunden Filmmaterial jetzt diesen ersten Loop, der für ein Laufpublikum konzipiert ist, produziert hat.
Und zwar nicht linear, Haus für Haus, sondern mit vielen Schnitten und beispielsweise thematischen Schwerpunkten – Beleuchtungsbrücken, Gänge oder Material-Magazine – und man nicht immer weiß, in welchem Haus man sich gerade befindet. Und: man gerät beim Anschauen der "leeren Räume" in einen meditativen Sog. Wunderbar ist auch die humorvolle Ader, die das Ganze durchzieht und die sich z. B. darin äußert, dass Techniker mit Inline-Skatern jetzt die Räume zwischen den Zuschauerreihen des Nikolaisaals als Laufstrecke benutzen oder jemand dem wackeligen Geländer des T‑Werk-Zuschauerpodests schräge Töne entlockt.
Sehr klar wird – hier sind in jeder Hinsicht kreative Menschen zugange, die ihre Arbeit (nicht nur einen Job!) lieben und die selbst so einer Zwangspause kreative Momente abgewinnen und so etwas für sich/für uns dazugewinnen können. Jenseits von aller auch im Kulturbereich eingezogenen Effizienz. Insofern ist "Kunstpause" (auch) ein wunderbares Plädoyer für kreative Pausen und die nicht geplanten Möglichkeiten sich ausbreitender Langeweile oder des Einfach Seins – wie es der Techniker ganz am Anfang oder auch einer, der im Rettungsboot des Theaterschiffes liegt und den Wolken nachschaut, zeigt.
Ich bin gespannt, wie KOMBINAT die "Kunstpause" weiter entwickelt, denn aus dem Material soll in einem weiteren Schritt ein abendfüllender Film werden, in dem die Protagonist*innen, mit denen auch Interviews geführt wurden, dann selbst zu Wort kommen.
Astrid Priebs-Tröger