Männer als Schöpfer
Zwei sehr unterschiedliche Materialien waren die hervorstechendsten Protagonisten des 3. Festivalabends von Unidram. Glas‑, Plastikflaschen und Bierdosen brachte der Soundperformer Laurent Bigot in "An unstable air" zum Klingen. Olivier de Sagazan hingegen benutzte jede Menge feuchten Lehm, um in "Hybridation" die Verschmelzung eines Paares zu versinnbildlichen.
Als SIE und ER in "Hybridation" leise summend die Bühne betraten, sich an einen schwarzen Tisch setzten und die Köpfe zusammensteckten, war klar, dass aus ihnen ein Paar werden würde. Ihre Auf-einander-zu-Bewegung setzte sich fort, als sie sich mit hellem Lehm die Gesichter beschmierten und auf ihre geschlossenen Augenlider schwarze Punkte malten. Dies ließ René Magrittes berühmte Liebende vor dem eigenen inneren Auge entstehen.
Als SIE sich noch mit Farbe den Mund blutig rötete und IHN zum ersten Mal heftig küsste – nahm das Verhängnis seinen Lauf. Denn ein solches wurde es. Auch, wenn man es in diesem Moment nur ahnte. Denn erst einmal schmierten sich beide selbst oder jeweils gegenseitig jede Menge Lehm ins Gesicht und die seltsamsten Lebewesen – skurrile Mischwesen von Mensch und Tier – entstanden. Es war sowohl faszinierend als auch abstoßend, bei der anwachsenden Symbiose zuzusehen.
Doch bereits hier etablierte sich auch das Bild vom Mann als Schöpfer/von Gott, der nach christlichem Schöpfungsmythos den ersten Menschen aus Erde erschuf. Und als das Paar in immer größerer Lust, Besitz vom Oberkörper des jeweils anderen ergriff, herrschte noch weitgehend Gleichberechtigung, handelten beide auf Augenhöhe, war es komisch, als SIE IHM weibliche Brüste formte.
Das änderte sich schlagartig, als ER IHR enthemmt die letzten Kleider vom Leibe riss, SIE auf den Tisch warf und IHR einen Bauch aus Lehm formte. Mit großer Geste, und im Voll-Besitz seiner Kraft. Während SIE von jetzt an alles, auch die wütende Zerstörung der Frucht und ihrer Mitte durch IHN geschehen ließ. Dass Frauen von Männern zum Objekt gemacht werden, ist weltweit noch immer verbreitet und solche (Geschlechter-)Stereotype werden – leider auch auf dem Theater – nach wie vor reproduziert.
Doch bei Olivier de Sagazan kann man die schwärende Wunde, die sich am Ende von der Brust bis zur Scham der Frau auftat – auch wie ein Menetekel auf die andauernde Zerstörung der Mutter Erde lesen. ALLE sollten diese bereits überall sichtbaren Zeichen verstehen. Denn die fürsorglich-traurige Geste des Mannes hilft kurz vor dem Ende niemandem mehr.
Auch der französische Komponist Laurent Bigot ist ein Mann und ein "Schöpfer". Er benutzt Abfallprodukte der Getränkeindustrie für seine technischen und akustischen Experimente und entlockt ihnen bizarr-schöne Sounds. Mehr als zwei Dutzend Flaschen aus Glas oder Plastik, dazu Metalldosen und schlangenförmige Luftballons hatte er auf einem riesigen Tisch angeordnet.
Zusammen mit Kompressoren und Mikrofonen sind sie die Hauptdarsteller seiner hochspannenden Sound-Performance. Und hier – in diesem konzentrierten Spiel – kommt der sogenannte Homo ludens wunderbar zum Tragen. Im Spiel, das (frei) nach Friedrich Schiller den Menschen erst zum Menschen macht, liegt möglicherweise eine der wirklichen gesellschaftlichen Utopien.
Und wenn dies dann noch so faszinierend, weil nicht zerstörerisch, sondern wirklich schöpferisch wie bei Bigot daherkommt, muss/müsste einem um den Zustand der Welt nicht (mehr) bange sein.
Astrid Priebs-Tröger