Rasender Stillstand
Diese Ungewissheit, ob und wann das kulturelle Leben wieder losgeht, ist gerade die Schlimmste für mich. Denn diese Ungewissheit macht (mich) leer. Es gibt kein wirkliches Ziel, nur dieses, halbwegs gut durch diesen Tag, die Woche, den nächsten Monat zu kommen.
Halbwegs gut heißt gerade: Essen, Trinken, Schlafen, Einkaufen, Rausgehen, Telefonieren mit den Liebsten, ein bisschen "Ablenkung" am Abend. Einen Film, Musik oder ein Buch. Aber schon da fängt das Dilemma an. Was berührt mich gerade?
Stärker und anders als "Corona"? Mit der ich mich ohnehin bewusst und/oder unbewusst den ganzen Tag – in den sozialen Netzwerken – oder nachts in einigermaßen regelmäßig auftretenden (Alb-)Träumen beschäftige. Denn neben der Gesundheit steht auch die ökonomische Existenz auf dem Spiel …
Und nein, mir geht es dabei nicht darum, wieder shoppen zu gehen oder im Café sitzen zu können; sorry, Ihr Laden- und Restaurantbesitzer! Nein, mir geht es um Kultur. Die in Form von Tanz und Theater – wenigstens für mich – ein "Lebenselixier" ist.
Dieses räumliche Zusammensein, der mentale, emotionale Austausch mit anderen über die "großen Fragen", die unsere menschliche Existenz berühren. Auf die wir ja durch "C" gerade elementar zurückgeworfen sind. Und deswegen dringend des Zuhörens, des Austauschs, der Ermutigung – ja, der Utopie bedürften.
Doch vieles andere scheint wichtiger – neudeutsch: systemrelevanter – als lebendiger kultureller Austausch zwischen Menschen. Der auch in "guten Zeiten" nur eine "freiwillige" Leistung der Länder/Kommunen ist. Und in Krisenzeiten wie diesen allemal verzichtbarer als Bundesliga-Fußballspiele zu sein scheint.
Und kommt mir jetzt bloß nicht mit "Konserven" oder Live-Streams im Internet. Da sitze ich allein oder höchstens mit meinem Partner davor und dieses kollektive Live-Erleben und gemeinsame Berührtwerden, das wesentlich für jede Form von wirklichem Theater ist, und sich auch im Raum manifestiert, fällt nahezu völlig unter den Tisch.
Wie auch das Sehen von Anderen und Gesehen werden, das (zufällige) Gespräch, die spontane Umarmung oder die weitere Verabredung. Die jeden Theaterabend zu einem Kommunikations-höhepunkt werden lassen können. Luxusprobleme? Mitnichten.
Und für mich als Theater-Kritikerin kommt ja noch hinzu, dass ich das Gesehene zeitnah verarbeiten und "transkribieren" muss, für diejenigen, die nicht dabei waren. Und für die Künstler*innen, denen ich ja ein professionelles Feedback gebe, von dem, was ich gesehen, was ich beim Gezeigten erlebt/gedacht habe. Und von denen nicht wenige, wenn sie die Kritik gelesen haben, mich ihrerseits wieder ansprechen etc.
Jetzt könnte man einwenden, dass auch in "normalen" Zeiten nur wenige Leute ins Theater gehen … doch diese "Wenigen" sind eine Keimzelle, auch sie können Debatten anstoßen. Das gehört (auch) zur Vielfalt unserer demokratischen Gesellschaft. Zum Glück gibt es jetzt und hier – Potsdam, am 28.04.2020 – erste Lockerungen, was das Demonstrationsverbot betrifft.
Menschen treffen sich mit Mundschutz und Sicherheitsabstand vor dem Brandenburger Landtag, um die Evakuierung der Geflüchteten aus Lagern wie Moria wiederholt einzufordern. Und: auch einige Theaterleute haben sich vor Tagen auf den Weg gemacht; sie tanzen und singen in den Potsdamer Plattenbaugebieten vor den Zuhörer*innen auf zahlreichen Balkonen.
Und was sich manchmal wie rasender Stillstand anfühlt, und einem die Luft zum Atmen nimmt, kann auch produktiv werden und dazu einladen, endlich Partei zu ergreifen und/oder die Perspektive(n) zu wechseln.
Astrid Priebs-Tröger