Spielen und Kämpfen

Auf den ers­ten Blick hat­ten die bei­den Insze­nie­run­gen am 5. Tag der Pots­da­mer Tanz­ta­ge nicht viel gemein­sam. Tho­mas Hau­erts "How to pro­ceed" ("Vor­an­ge­hen"), das anläss­lich des 20-jäh­ri­gen Bestehens sei­ner Com­pa­ny ZOO ent­stand, unter­sucht den künst­le­ri­schen Schaf­fens- und die damit ver­bun­de­nen sozia­len Pro­zes­se. Und Yas­meen God­ders "Demons­tra­te Res­traint" ("Zurück­hal­tung demons­trie­ren") ist eine Aus­ein­an­der­set­zung mit ihrer Hei­mat Isra­el und der ambi­va­len­ten per­sön­li­chen Hal­tung des Ein­grei­fen Wol­lens und des immer wie­der davor Zurückschreckens.

ZOO/Thomas Hau­ert, How to Pro­ceed / Foto: Bart Grietens

Doch zwi­schen bei­den Insze­nie­run­gen ent­span­nen sich mehr (Beziehungs-)Fäden, als man anfangs glau­ben woll­te.  In Hau­erts Pro­duk­ti­on lag zu Beginn über die gan­ze Büh­ne ver­teilt ein immens lan­ger, in unzäh­li­ge Bah­nen geleg­ter hel­ler Stoff­strei­fen, der sich vom dunk­len Unter­grund wir­kungs­voll abhob.  Soll­te dies der "Ari­ad­ne­fa­den" sein, an dem sich die vier Frau­en und vier Män­ner durch den gemein­sa­men krea­ti­ven Pro­zess han­geln wür­den? Mit­nich­ten. Denn obwohl sie­ben von ihnen an bei­den Sei­ten der Büh­ne des­sen Enden hal­ten woll­ten, sprang Tho­mas Hau­ert kraft- und lust­voll mit­ten hin­ein und ver­spann sich wie in einem Kokon dar­in. Oder war es eine Zwangs­ja­cke, die zwei Tän­zer dann noch zusätz­lich verknoteten?

Nach die­sem Anfangs­bild kipp­te die Stim­mung. Hau­ert und wir mit ihm phi­lo­so­phier­ten dar­über, wie es sich anfühlt, in einer pri­vi­le­gier­ten Welt (als Künst­ler) und als Mensch (im Wes­ten) zu leben. Denn die immens vie­len Stoff­fä­den, die im Lau­fe des Abends zum Ein­satz kamen, stell­ten asso­zia­tiv auch die Ver­bin­dung zur soge­nann­ten drit­ten Welt her, in der inzwi­schen der Groß­teil der welt­wei­ten Tex­til­pro­duk­ti­on statt­fin­det. Der Künst­ler nimmt gleich dar­auf  auch Wor­te wie Sinn, Moral, Glück und Depres­si­on in den Mund, um dann doch iro­nisch ent­schär­fend wie­der von (s)einer Mid­life-Cri­sis zu fantasieren.

Demons­tra­te Res­traint / Foto: Tamar Lamm

"Demons­tra­te Res­traint" beginnt als Duett zwei­er star­ker Frau­en. Yas­meen God­der und Tomer Dams­ky schla­gen kraft­voll auf zwei Marsch-Trom­meln ein. Ohren­be­täu­bend wird das und (Ur-)Schreie bei­der fol­gen. Man spürt deut­lich, wie viel Power und zugleich wie viel Zurück­hal­tung in den bei­den ist. Zwei Far­ben bestim­men ihre ener­gie­ge­la­de­ne Per­for­mance – schwarz und weiß. Letz­te­re ist – in unse­rem Kul­tur­kreis – die Far­be der Reinheit/Unschuld, der Ste­ri­li­tät und auch der Kapi­tu­la­ti­on. Yas­meen God­der, die in "Demons­tra­te Res­traint" wie­der selbst auf die Büh­ne zurück­ge­kehrt ist, tanzt mit einem wei­ßen Tuch, das mal Schlei­er, mal Fah­ne, mal Rock, mal Stier­kampf­tuch ist.

Und dass mit die­ser Nicht-Far­be nicht wirk­lich kämp­fe­risch wirkt. Son­dern, das wird ja auch immer noch von Frau­en gesell­schaft­lich erwar­tet, die kämp­fe­ri­sche Atti­tü­de abschwächt, letzt­end­lich unter­drückt. Auf Entlastung/Abschwächung zielt auch das klang­star­ke Jam­mern, in das bei­de Per­for­me­rin­nen anhal­tend ein­stim­men und dass sie dann mit einem Dut­zend Auf­nah­me­ge­rä­ten zurück in den Saal spie­len. Auch das spie­gelt ein Poli­ti­kum: Die Jeru­sa­le­mer Kla­ge­mau­er ist für die Juden das wich­tigs­te Hei­lig­tum. Bis­lang beten dort Män­ner und Frau­en getrennt. 2016 beschloss die Regie­rung auch nach lan­gen Kämp­fen von "Women oft he Wall", dass es auch einen gemein­sa­men Gebets­be­reich geben müsse.

ZOO/Thomas Hau­ert, How to Pro­ceed / Foto: Bart Grietens

Um Gemein­sam­keit und wie man sie erreicht, geht es in Tho­mas Hau­erts Jubi­lä­ums­pro­duk­ti­on. Wun­der­ba­re Bil­der von den (ansons­ten) unsicht­ba­ren, hier viel­far­bi­gen und viel­ge­stal­ti­gen Fäden zwi­schen Men­schen zeigt er in "Vor­an­ge­hen". Mit einem elas­ti­schen roten Band rin­gen sie bei­spiels­wei­se um ein gemein­sa­mes künst­le­ri­sches Ergeb­nis. Im Klei­nen spiel­te man das frü­her zu zweit beim "Abneh­men". Einem Geschick­lich­keits­spiel, für eine oder meh­re­re Per­so­nen. Mit einem geschlos­se­nen Gum­mi wur­den dabei kunst­vol­le geo­me­tri­sche Figu­ren geknüpft. Hier ver­knüpft Hau­ert sich selbst und sei­ne Tän­zer damit sym­bo­lisch in einen wun­der­bar flie­ßen­den Pro­zess, des­sen Resul­tat bis zum Schluss nicht fest­steht. Man hät­te den wech­seln­den For­ma­tio­nen stun­den­lang zuse­hen kön­nen. Doch Kri­sen und Cha­os machen auch vor krea­ti­ven Pro­zes­sen nicht halt, sie gehö­ren, um eine neue, ande­re Qua­li­tät zu errei­chen, zwangs­läu­fig dazu. In Tho­mas Hau­erts Insze­nie­rung ver­wan­delt sich die Büh­ne immer mehr in ein Schlacht­feld mit unzäh­li­gen Stoff­knäu­eln und Akteu­ren, die sich die­se mal wütend, mal iro­nisch an den Kopf werfen.

Demons­tra­te Res­traint / Foto: Tamar Lamm

Yas­meen God­der und Tomer Dams­ky suchen hin­ge­gen den direk­ten Dia­log mit dem Publi­kum. God­der hat sich zwei Stö­cke in X‑Form vor den Kör­per geschnallt. Sie fragt die Zuschau­er nach ihren Asso­zia­tio­nen: (s)ein Kreuz tra­gen, Rudern im Fluss, Kämp­fen als Samu­rai oder Schmet­ter­ling wer­den ihr u. a. zuge­ru­fen. Begibt man sich inten­si­ver in die Mate­rie ist das X sowohl mit dem Chris­ten- (Andre­as­kreuz) als auch mit dem Juden­tum (Dar­stel­lung der Opfe­rung des Isaaks) ver­bun­den. Erst als God­der sich davon befreit und ihr star­kes Solo – ohne wei­ßes Tuch – tanzt, fin­det sie zu ihrer eigent­li­chen Kraft.

Im inten­si­ven Fina­le mit Tomer Dams­ky am Schlag­zeug wird wie­der ein Marsch­rhyth­mus von den bei­den Frau­en – und mit Licht aufs Publi­kum – into­niert. Jetzt drängt sich zwangs­läu­fig die Far­be Rot ins Bewusst­sein, die hier nicht mehr Blut(vergießen), son­dern Lei­den­schaft, Akti­vi­tät, Dyna­mik und Zorn sym­bo­li­siert – im Ange­sicht so vie­ler Kri­sen nicht nur in Isra­el, son­dern welt­weit. Und – das asso­zi­ie­ren bei­de Insze­nie­run­gen – dass krea­ti­ve Pro­zes­se durch­aus als Blau­pau­se für gesell­schaft­li­che Pro­zes­se die­nen kön­nen. Und dass nicht län­ger Zurück­hal­tung son­dern Vor­an­ge­hen ange­sagt ist.

Astrid Priebs-Trö­ger

Die­ser Text erschien zuerst in Pots­da­mer Neu­es­ten Nach­rich­ten PNN vom 19.05.19

 

23. Mai 2019 von Textur-Buero
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